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Koks, Eisen und Stahl – Eschweiler Schwerindustrie

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Die reichen Vorkommen an Kohle und Erzen im Eschweiler Raum waren bereits in der Frühzeit bekannt. Kelten schürften hier und von den gallischen Kelten weiß man heute, dass sie die Metallgewinnung in der Latènezeit bereits in einem vergleichsweise industriellen Umfang betrieben haben und deshalb in den Fokus von Julius Caesar gerieten. Ob Kelten dies im Eschweiler Raum auch taten, wissen wir (noch) nicht. Wir wissen, dass die Erzvorkommen Ende des 19. Jahrhunderts ausgebeutet waren, die an Kohle dagegen noch nicht, und mit der Kohle beginnt die uns bekannte Industriegeschichte Eschweilers:

1805 schwingen sich Carl Englerth und die Erben des ursprünglich Kinzweiler Schultheißen Johann Peter Wültgens zu den Herren des Eschweiler Kohlbergs auf. Hernach ist es die von Christine Englerth geb. Wültgens 1834/38 begründete erste deutsche Bergbau-Aktiengesellschaft, der Eschweiler Bergwerks-Verein (EBV). Der EBV betreibt Gruben in Pumpe, Weisweiler und Nothberg und übernimmt schließlich auch die Förderung im Wurmrevier. Mit Beginn der 1950er Jahre gilt Eschweiler als ausgekohlt; was die Steinkohle anbelangt, der Tagebau an der Braunkohle geht weiter bis 1987. Die letzte Zeche aber, die Grube Reserve in Nothberg, säuft 1944 ab und nach dem Krieg nimmt der EBV die Förderung nicht mehr auf. Übrig bleibt der »Schwarze Berg«.

Der EBV konnte im Inderevier Fettkohle, die sich zur Verkokung eignete, fördern. Dies und die Nähe zur Eifel als auch zu Belgien waren die günstigen Voraussetzungen dafür gewesen, in Eschweiler viel früher als anderswo in Deutschland die Schwerindustrialisierung zu beginnen. In der Eifel bestand seit langem Eisengewerbe und aus Belgien kamen gutes Eisen, vor allem aber Kapital und Fachleute, denn in Belgien war man – nicht zuletzt aufgrund enger Beziehungen zu Großbritannien – in der Entwicklung von Schwerindustrie ganz erheblich fortgeschrittener als in Deutschland.

Mithin konnte in Eschweiler bereits zwischen 1819 und 1855 Eisen- und Stahlindustrie entstehen, und die 1818/19 errichtete Maschinenfabrik der Unternehmung Englerth, Reuleaux & Dobbs in Eschweiler-Pumpe dürfte überhaupt als erste deutsche Betriebsgründung im industriellen Maßstab angesehen werden. Hergestellt wurden dort Dampfmaschinen, Dampfhämmer, Transmissionen, und 1845 unterhielt das Werk bereits 100 Arbeiter. 1876 löste Franz Reuleaux mit seinen Briefen von der Weltausstellung in Philadelphia/USA an das Reichskanzleramt in Berlin eine Marketingoffensive in Deutschland aus, wodurch nicht zuletzt die von den Engländern erdachte angebliche Verbraucherschutzbezeichnung »Made in Germany« als Stigma minderwertiger Qualität und Plagiate zu einem anerkannten Merkmal hoher Güte und Innovation wurde.
Heute ist es das ESW Röhrenwerk, das auf diese Tradition zurückblicken kann, und es ist das ESW Röhrenwerk, das als einziges Unternehmen der Eisen- und Stahlindustrie in Eschweiler verblieben ist. 2015 wurden dort noch 330 Mitarbeiter beschäftigt, Ende 2015 meldete das Unternehmen indes Insolvenz an und betreibt das Werk seitdem in Insolvenz-Eigenverwaltung.

Ab 1822 wurde die Drahtfabrik, die rund 130 Jahre an der ehemaligen Mühlenstraße, heute ein Abschnitt der Indestraße, bestehen sollte, von Friedrich Englerth und Aachener Tuchfabrikanten in der Drahtfabrik Compagnie errichtet. Zunächst auf einer belgischen Fertigungsstraße wurden Kratzen- und Nadeldraht für die Tuchfabrikation hergestellt. In den 1870/80er Jahren stellte man auf Puddel- und Thomasverfahren um und fusionierte 1906 mit dem Aachener Hüttenverein. 1928 trat die Felten-Guilleaume Eschweiler Draht AG als Fabrikherrin auf, 1953 wurde die Fabrik in Eschweiler geschlossen und die Produktion nach Köln verlegt. Die Stadt erwarb das Gelände 1956 und auf einem kleinen Teil sind Bushof und Arbeitsamt entstanden, der größere Teil liegt heute brach.
1832 entstand die Eisengießerei Englerth & Cünzer nebst Walzwerk, als das älteste Eisenwerk im Aachener Raum. Man produzierte vornehmlich Puddelstahlerzeugnisse für die Rheinische Eisenbahngesellschaft. Das tat auch die 1851 gegründete Firma Englerth, Cünzer & Fuhse, die 1873 in Englerth & Cünzer aufging. Nach der Vereinigung mit Müllers & Cie., die in Köln-Ehrenfeld ein Röhrenwerk betrieben, zur Eisenwerk AG, wurde diese 1924 in die 1911 gegründete Hüttenabteilung des EBV aufgenommen, wodurch dem Eisenwerk die Versorgung und dem EBV der Absatz mit den Rohstoffen Kohle und Eisen gesichert war.
In Eschweiler-Aue gründeten Telemagne Michiels aus Lüttich und Nicolaus Joseph Bourdouxhe aus Düsseldorf in der Fa. Michiels & Cie. 1841 ein Puddel- und Walzwerk, belegten es mit belgischen Facharbeitern und ließen englisches Roheisen verarbeiten. 1853 ging der Betrieb in der Phoenix S.A. auf, wurde 1908 dann aber wegen zu geringer Rentabilität stillgelegt. Zunächst übernahm die Waggonfabrik Goossens (1913: Talbot) die Anlagen, dann erwarb die 1917 gegründete Fa. Albert Hoffmann, die einen Großhandel mit Eisen und Schrott in Eschweiler betrieb, das Gelände.
1846 gründete Hoesch aus Düren ein Eisenwerk für die Belieferung der Eisenbahn, das jedoch bereits 1876 ins Ruhrgebiet nach Dortmund verlegt wurde.
Die ersten industriellen Hochöfen in Eschweiler wurden 1855-57 bei der Concordiahütte des EBV am Ichenberg in Pumpe in Betrieb gestellt. Ab 1900 kam es jedoch nicht mehr zur Verhüttung heimischen Erzes; die Vorkommen galten als ausgebeutet und es waren die lothringischen Minettegruben angekauft worden. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs erzielte die Concordiahütte ihren Herren gute Gewinne, dann wurde 1936 der Hochofen-Betrieb eingestellt und 1944 die Hütte ganz wegen veralteter Anlagen stillgelegt. Geblieben ist die giftige Schlacke der Hütte.
Die 1911 vom EBV in seiner Hüttenabteilung zusammengefassten Eisen- und Stahlbetriebe, die nach dem Zweiten Weltkrieg u. a. mit der Errichtung des Elektrostahlwerks 1957 modernisiert worden sind, beschäftigten 1960 noch rund 2.000 Arbeiter.

Zweifellos war der EBV das größte Unternehmen vor Ort. Neben der Industrie waren jedoch auch andere, unabhängige Unternehmen mit Größe, Bedeutung und Tradition in Eschweiler in der Metallverarbeitung tätig. So ging aus dem 1813 gegründeten Messingwalzhammer das Lynenwerk hervor, das sich 1935 ganz auf die Kabelproduktion verlegte. 2012, nach 126 Betriebsjahren, kam für die noch 160 Mitarbeiter des Werks das Aus: Prysmian Berlin hatte den Kabelhersteller, zuletzt firmierend als Facab Lynen GmbH & Co. KG, 2008 übernommen, um die Produktion in Eschweiler einzustellen. Die bereits erwähnte, 1917 als Schrottgroßhandel gegründete Fa. Albert Hoffmann besteht dagegen als mittelständisches Familienunternehmen in Eschweiler fort und betreibt eine Stahlgießerei. Sie beschäftigt 2015 noch 220 Menschen. Nicht zuletzt muss auch das 1917 gegründete Elektrowerk Weisweiler in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Die Elektrowerk Weisweiler GmbH – ursprünglich Stinnes/Eisenzentrale, heute zur finnischen Ruukki-Gruppe gehörig – ist weltweit führend in der Herstellung von niedriggekohlten Ferrochrom-Sonderqualitäten und produziert weiterhin in Weisweiler. Schlacke des Werks mit dem als karzinogen geltenden Chrom(VI)-oxid ist verschiedenen Ortes in Eschweiler in Landschaft und Siedlung ausgebracht. In weiteren Eschweiler Unternehmen wurden zudem Apparate, Bleche, Industrienähmaschinen, Gießereiprodukte, und Textilmaschinen hergestellt.

Industriestadt ist Eschweiler heute nicht mehr. Schon in seiner Hochzeit als solche wurden die Standortvorteile für Industrie im Ruhrgebiet deutlich. In der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung konnte man sich indes lange Zeit noch des Tagebaus versichern, doch mittlerweile ist selbst dem Braunkohle-Kraftwerk in Weisweiler ein planmäßig zeitiges Ende vorgesehen. Man arbeitet heute wohl am Konzept des Technologieparks und doch ist das Gesicht dieser Stadt geprägt von ihrer Vergangenheit als Koks, Eisen und Stahl dort noch im industriellen Maßstab erzeugt und verarbeitet worden sind.

Text und Bildlegenden: Haro von Laufenberg