6500 Jahre Eschweiler
von Haro von Laufenberg
Die Besiedelung des Eschweiler Raumes beginnt nachweislich im Neolithikum. Rund 6500 vor heute betreiben die ersten Ackerbauern Getreideanbau und Viehzucht auf den fruchtbaren Lößböden im Norden des heutigen Stadtgebietes am Merzbach. Nach der Musterung ihrer Töpferwaren nennt man sie »Bandkeramiker«. Auch aus der keltischen Zeit, dem Jahrtausend vor Christus, sind Spuren menschlicher Besiedlung in Eschweiler nachgewiesen.
Wirtschaftliche und kulturelle Blüte in historischer Zeit erlebt der Eschweiler Raum erstmalig unter der Römerherrschaft. Im Hinterland der römischen Grenze am Rhein zur Germania Magna entstehen Landgüter und ein ausgebautes Straßennetz. Zahlreiche Siedlungsfunde (Römervillen am Lynenwerk, am »Sprung« in Hastenrath, auf dem Steinacker in Dürwiß und in Röhe) bezeugen dies, wenn auch von einer städtischen Siedlung nicht gesprochen werden kann.
Das Jahr 828
Historisch greifbar wird Eschweiler als solches selbst indes erst im Jahre 828: Einhard, dem im Stadtgarten ein Denkmal errichtet worden und der Biograf Karls des Großen gewesen ist, schreibt in seinem Werk Translatio et Miracula Sanctorum Marcellini et Petri, einem zeittypischen Bericht über eine Reliquienüberführung, von »Ascvilare fundus regius«, dem karolingischen Königsgut Eschweiler. Ferner spielt Eschweiler unter der nachmaligen Herrschaft der Kölner Domprobstei und des Jülicher Fürsten jedoch keine große Rolle.
Die französische Revolution
Das ändert sich als 1794 französische Revolutionstruppen die politische Moderne im westlichen Rheinland begründen. Die unter Jülicher Herrschaft zaghaft ausgebeuteten Kohlevorkommen im Eschweiler Raum bestimmen von nun an das Bild Eschweilers und machen das Inderevier zur ersten Industrieregion in Deutschland. Rund 150 Jahre brauchen Arbeiter seitdem, um das Stadtgebiet auszukohlen. Die Bergherren investieren das »Schwarze Gold« sogleich und nun auch als Fabrikherren in Eisen und Stahl. Dies zunächst für den Bau der Eisenbahn, die man zum Transport der Kohle braucht und womit Deutschland zum ersten industriell geführten Krieg rüstet, dem Ersten Weltkrieg. Die Eschweiler Hütten verbrauchen die gasreiche Fettkohle, die sich zur Verkokung eignet. Mit dem »tauben Gestein« wird der »Schwarze Berg« angeschüttet, das Wahrzeichen des Eschweiler Steinkohlebergbaus, das sich heute noch 250 m über NN im Südwesten der Stadt erhebt.
Das 20. Jahrhundert
Ab 1910 pflügt der Tagebau das Stadtgebiet um und 77 Jahre lang fördert man Braunkohle. Landschaften mit ihren Dörfern, Weilern und Höfen gehen dabei unter. Auch hier gibt es gleich die zugehörigen Fabriken an Ort und Stelle: In Weisweiler entstehen die Brikettfabrik und das Kraftwerk. Von »der Braunkohle« sind andere Halden, der »Blausteinsee« und das Kraftwerk geblieben.
Somit hat die Eschweiler Ortsgeschichte Bedeutung von Beginn des 19. Jahrhunderts an und besonders im 20. Jahrhundert als die Geschichte von Schwerindustrie und der damit untrennbar verbundenen Arbeitergeschichte und Arbeiterkultur und Armut, wogegen – auch im Hinblick auf die Eingemeindungen – in kultureller und sozialer Abgrenzung Landwirtschaft und Ackerbauern stehen.
Mit dem Ende der Schwerindustrie, zuletzt mit Schließung des Tagebaus »Zukunft« 1987, ist es in Eschweiler ruhiger geworden. Das letzte große Ereignis ist die sogenannte Stadtsanierung zwischen 1956 und 1982, der große Teile der Altstadt und deren Charakter zum Opfer fallen, und die mit der Inderegulierung eine weitere markante Zäsur in das ursprüngliche, gewachsene Stadtbild setzt.
CHRONIK
Mittelalter und Neuzeit
828
Der fränkische Geschichtsschreiber Einhard (* um 770; † 840) erwähnt in seinem Werk Translatio et Miracula Sanctorum Marcellini et Petri, einem Bericht über eine Reliquienüberführung von Rom nach Seligenstadt, in einer der seinerzeit solche Berichte üblicherweise ausschmückenden Wunder-Erzählungen Eschweiler als karolingisches Königsgut: »Ascvilare, fundus regius«.
851
Kaiser Lothar I. schenkt dem Münsterstift zu Aachen den neunten Anteil, eine nona, der Villa »Aschwilra«.
1145
Wilhelm von Eschweiler wird Schultheiß in Eschweiler.
1216
Gerhard von Randerath, der Vogt des Eschweiler Domhofs, verpfändet seine Vogtei über Eschweiler, Aldenhoven, Lohn und Inden der Kölner Domkirche.
um 1300
Eschweiler wird nach dem liber valoris – dem um 1300 entstandenen und ältesten bekannten Verzeichnis der Pfarreien im Erzstift Köln – als Pfarrei zum Dekanat Jülich gehörend genannt.
1389
Älteste bekannte Urkunde über den Eschweiler Bergbau. Die Eschweiler Kohlebergwerke sind im Besitz der Herzöge von Jülich.
1394
Herzog Wilhelm III. von Jülich überlässt seiner Mutter den »Koylberg zu Eschwilre« als Wittum.
1429
Die Eschweiler Burg ist im Besitz des Jülicher Erbmarschalls Frambach von Birgel.
1539
In den bekannten Quellen taucht erstmals der »Mühlenpfad«, an dem sich das Eschweiler Oberdorf entwickelt hat, auf, die »obere Nachbarschaft«. Aus dem Mühlenpfad wird die Mühlenstraße, seit 1972: Indestraße.
1541
Johann von Palant wird Amtmann von Eschweiler und Wilhelmstein.
1543
Reformatorische Kräfte, voran die Agenten des Landgrafen von Hessen, bewegen den Herzog von Jülich zur Führung des Geldrischen Erbfolgekriegs, um die Macht des Habsburgischen Kaisers Karl V. im Reich zu brechen. Kaiser Karl V. verheert daraufhin die Jülischen Lande und es kommt dabei zur Plünderung Eschweilers durch kaiserliche Truppen.
Nach diesem Ereignis wird ein Teil des Eschweiler Oberdorfs vom Volksmund em Spansch genannt, nach den dort einquartierten spanischen Truppen des Kaisers. Im Zuge der sog. Stadtsanierung wird das historische Oberdorf Eschweilers zwischen 1964 und 1972 vollständig abgerissen.
1555
Zum Bann des Gerichts in Eschweiler gehören neben dem Flecken Eschweiler selbst noch Bergrath, Röhe, Röthgen und Schaufenberg.
1572
Das Lehnsverhältnis der Eschweiler Burg erlischt. Der Rittersitz und der Domhof von Eschweiler unterstehen seither der Mannkammer zu Aldenhoven.
1638
Der Dreißigjährige Krieg (1618 – 1648) trifft nun auch mit Härte Eschweiler. Kaiserliches Kriegsvolk lässt den Bergwerksbetrieb auf dem Eschweiler Kohlberg zum Erliegen kommen.
1640
Am 4. April leiten Erdstöße eine Erdbebenwelle in den nächsten hundert Jahren ein; die Menschen werden in die Kirchen geführt, um für die Abwendung des Unheils zu beten.
1642
Eschweiler wird von verbündeten protestantisch hessischen, weimarischen und katholisch französischen Truppen eingenommen und geplündert. Die Verpachtung des Eschweiler Kohlbergs wird infolge der Kriegseinwirkung beendet.
1644
Hessische Truppen erobern die Eschweiler Burg, die von dem kaiserlichen Obristleutnant Hill verteidigt worden ist.
1650
Die Burg Röthgen kommt an die Familie von Bourscheidt.
1652
Die Kullen in Weisweiler werden geschlossen.
1666
Infolge der Kriegsschäden aus dem Dreißigjährigen Krieg übernimmt der Landesherr den Eschweiler Kohlberg in eigener Regie.
1673
Am 14. Juli ereignet sich ein Erdbeben, zu dem berichtet wird, dass aufrechtes Gehen nicht mehr möglich gewesen sei.
1678
Im Holländischen Krieg, einer der Reunionskriege, brandschatzen Truppen des französischen Königs Ludwig XIV. Eschweiler. Die Pfarrkirche St. Peter und Paul wird zerstört, die wertvolle Leder-Pieta wird jedoch gerettet.
1692
Ein Erdbeben mit vier starken Erdstößen wird registriert.
1755
An Allerheiligen werden Erdstöße wahrgenommen, vermutlich Auswirkungen des großen Erdbebens von Lissabon.
Am 26. Dezember ereignet sich ein stärkeres Erdbeben, dem in den nächsten 11 Monaten weitere folgen werden.
1756
Am 18. Februar erreicht die Erdbebenwelle ihren Höhepunkt. In Eschweiler kampieren die Menschen nahezu sechs Wochen lang auf freiem Feld in Strohhütten. Dann ebbt die Stärke der Folgebeben ab. Dennoch erlässt der Rat der Stadt Aachen im Juni 1756 mit Rücksicht auf die andauernde Erdbebengefahr ein Verbot aller Volksbelustigungen.
1760
Erstmals wird der Schacht »Schlemmerich« in Pumpe-Stich erwähnt. Er ist nach dem bis an die Erdoberfläche reichenden Flöz benannt, was so viel wie »weiche Kohle« heißt. Diese wird hier bis 1891 gefördert werden.
1784
Die kurfürstliche Regierung in Düsseldorf belehnt den Landwirt und Schultheiß von Kinzweiler, Johann Peter Wültgens, zur Entschädigung für einen ihm durch den Grafen von Hatzfeld entstandenen Pachtverlust an der Kinzweiler Burg mit der Ausbeute Eschweiler Steinkohlenflöze im »Hundend«, dem Distrikt im südlichen Inderevier. Schon 1785 erwirbt er weitere Steinkohlekonzessionen. In der Eschweiler Altstadt macht er den »Kirschenhof« zu seinem Wohn- und Geschäftssitz. Zu seinem Tod am 20. Oktober 1787 besitzt er über die Hälfte aller Anteile des Eschweiler Kohlbergs, also des gesamten Kohleabbaus im Eschweiler Raum. Diese Akkumulation wird von seinen Kindern Ferdinand, Katharina, Walburga und besonders Christine ausgebaut und wird 1834/38 im Eschweiler Bergwerks-Verein, der ersten deutschen Bergbau-Aktiengesellschaft, münden.
1786
Am 4. Dezember wird unweit der Bückem-Seif in Pumpe eine »Feuermaschine« zur Förderung der »Kollen und des Wassers« in Betrieb genommen. Es kommt zu einer Dampfkesselexplosion, die fünf Tote und zahlreiche Verletzte fordert.
Politische Moderne bis Juli 1914
1794
Französische Revolutionstruppen besetzen das linke Rheinufer und errichten eine Munizipalverwaltung zwischen Rhein und Maas.
Der ehemals kurpfälzische Militär-Hauptmann Carl Englerth aus Jülich wird zum Beigeordneten des Kantons Eschweiler berufen. Englerth ist seit 1786 mit Christine Wültgens, die Erbin des Johann Peter Wültgens, verheiratet und ist dadurch Bergwerksbetreiber in Eschweiler geworden.
In Pumpe wird die erste Dampfmaschine in Betrieb genommen: zur Entwässerung des Bergwerks.
1797
Carl Englerth und die Erben des Johann Peter Wültgens erwerben die Konzession auf den gesamten Eschweiler Kohlberg, d. i. das Steinkohlevorkommen im nordöstlichen Inderevier, nachdem 1787 Johann Peter Wültgens bereits die Hälfte eingenommen hatte. 1798 stellen sie einen Antrag auf volle Selbstverwaltung auf 100 Jahre.
1800
Der Flecken Eschweiler wird Mairie (frz. »Bürgermeisterei« = unterer Verwaltungsbezirk) und Kantonstadt des Roer-Departements im Arrondissement Aachen. Der Kanton Eschweiler zählt 18.904 Einwohner. Am 18. Oktober setzen die Franzosen Carl Englerth zum Maire (Bürgermeister) ein und erteilen ihm und Ferdinand Wültgens im Dezember eine vorläufige Betriebserlaubnis für die Bergwerke, die im September 1802 verlängert wird. Carl Englerth bleibt Bürgermeister bis zu seinem Tod am 25. August 1814. Seine Bemühungen um Bergbau-Konzessionen im Inderevier werden von seiner Witwe Christine Wültgens fortgesetzt.
1801
Das Roer-Departement und mit ihm Eschweiler werden dem französischen Kaiserreich einverleibt.
1805
Im November erteilt Kaiser Napoléon per Dekret der Familie Englerth/Wültgens die endgültige Betriebserlaubnis für Bergwerke im ganzen Kohlberg für 50 Jahre nach französischem Recht, insbesondere mit der Grube »Centrum«, dem mit Abstand ergiebigsten Steinkohle-Bergwerk im Eschweiler Kohlberg und das in Deutschland bedeutendste seiner Zeit in Privatbesitz. Die Urkunden werden im Dezember ausgefertigt.
1808
Errichtung des Friedensgerichts an der Dürener Straße/Kolpingstraße. Zum Gerichtsbezirk gehören Eschweiler selbst und die heutigen Ortsteile Dürwiß, Nothberg und Weisweiler sowie außerhalb des heutigen Eschweilers Bardenberg, Broich, Büsbach, Gressenich, Hoengen, Lamersdorf, Langerwehe und Stolberg mit seinerzeit insgesamt 24.514 Einwohnern. Ab 1868 verhandelt das Gericht alternierend in Eschweiler und Stolberg.
1815
Restauration: Der Wiener Kongress zieht die Grenzen Europas aus dem napoleonischen Erbe neu und schlägt die ripuarischen Rheinlande – und damit auch Eschweiler – als Rheinprovinz dem Königreich Preußen zu, dessen Königshaus bereits aus spätmittelalterlicher Heiratspolitik mit dem Geldrischen und Jülicher Land verbunden ist.
1818/19
Die Maschinenfabrik Englerth, Reuleaux & Dobbs wird in Pumpe gegründet. Sie gilt als eines der ältesten deutschen Werke für die Herstellung von Dampfmaschinen, Getriebeteilen, Gebläsemaschinen, Dampfhämmern, Transmissionen, Pumpenwerke und Fördermaschinen, begnügte sich zunächst jedoch mit dem Vertrieb englischer Erzeugnisse. Einer der Gründer, Karl Englerth aus der Bergwerks-Betreiber-Familie Englerth/Wültgens, ist gleichzeitig Mitbegründer einer Eisengießerei mit angeschlossenem Walzwerk. 1847 wird die Firma von Johann Heinrich Graeser, dem Direktor der Englerth’schen Gruben in Pumpe, übernommen und 1872 von der Firma Englerth & Cünzer, die das wenige 100 Meter entfernte Eisenguß-, Puddel- und Walzwerk betreibt. Schließlich als ESW-Röhrenwerke GmbH ist es heute der einzige größere Betrieb der Eisen- und Stahlindustrie in dem einstmals von Schwerindustrie geprägten Indetal zwischen Eschweiler und Stolberg.
1822
Am 24. Januar wird Friedrich Englerth, Bergwerksbetreiber, Sohn des vormaligen Bürgermeisters Carl Englerth und der Bergwerks-Erbin Christine Wültgens, Bürgermeister. Der Bau des Rathauses an der Dürener Straße beginnt.
Friedrich Thyssen, Friedrich Englerth, Ludwig Beissel und Jacob Springsfeld gründen in Aachen die Draht-Fabrik-Compagnie, die in Eschweiler zwischen August-Thyssen-Straße (bis 1965: Industriestraße), Langwahn, Steinstraße und Mühlenstraße (heute: Indestraße) Deutschlands erste Walzdrahtfabrik betreibt. Maschinenpark und Montagen besorgen Englerth, Reuleaux & Dobbs aus Pumpe-Stich, die über ihre dortige Firma englische Maschinen vertreiben. Hergestellt wird Walzdraht aus in der Eifel geschmiedetem Luppeneisen.
1823
Der Ortsteil Mühle wird nach Stolberg ausgemeindet.
1827
Eschweiler wird Dekanat mit 14 Pfarreien im Erzbistum Köln.
1833
Als Eschweiler Reservegrube erwirbt Christine Englerth die Konzession auf die Steinkohlenlager in Eschweiler, Nothberg, Weisweiler, Frenz, Lamersdorf, Lucherberg und Inden.
Am 2. November besucht König Friedrich Wilhelm III. von Preußen die Industriegebiete.
1834
Gründung des Eschweiler Bergwerks-Verein (EBV), die erste deutsche Bergbau-Aktiengesellschaft. Der EBV soll dazu dienen, den Englerth’schen Bergwerksbesitz im Erbfall zusammen zu halten. Der Einflussbereich umfasst den Eschweiler Kohlberg, d. h. den gesamten Kohleabbau in Eschweiler und Stolberg und damit einen weiten Teil des Aachener Reviers, in welchem nun die Schwerindustrialisierung einsetzt und das zur ersten Industrieregion Deutschlands wird. Eschweiler, mit dem Beinamen »Wiege des rheinischen Bergbaus«, wird von nun an von Industriealisierung und Arbeiterkultur geprägt sein. Unternehmen wie Thyssen und Phönix haben ihre Wurzeln in Eschweiler. Später führen Standortnachteile, insbesondere weil die Kohlereviere ins benachbarte Ausland Belgien und Frankreich hineinreichen, zur Abwanderung ins Ruhrgebiet. Die westlichen Kohlereviere gelten seitdem immer wieder als deutsche Kriegsziele.
1838
Mit dem Tod von Christine Englerth geb. Wültgens gehen die Englerth’schen Bergwerke in die Bergbau-Aktiengesellschaft Eschweiler Bergwerks-Verein (EBV) über. Friedrich Englerth, 1822 bis 1831 Bürgermeister von Eschweiler, wird Präsident des Verwaltungsrates.
1839
Nach der Neuordnung der Englerth’schen Bergwerke im Eschweiler Bergwerks-Verein, besucht König Friedrich Wilhelm III. von Preußen am 10. Juni erneut die Industriegebiete in Eschweiler und in Pumpe-Stich. Nach ihm wird der im Stadtwald liegende Schacht »Friedrich Wilhelm«, der bis 1873 in Betrieb sein wird, benannt. Auch die Friedrichstraße wird 1902 nach ihm benannt, wo dann auch mit dem Bau der Pfarrkirche St. Barbara begonnen wird.
1841
Eröffnung der Rheinischen Eisenbahn auf der Strecke Köln – Eschweiler – Aachen am 1. September und als eingleisige Strecke. Sie dient der Prosperierung und weiteren Erschließung der Schwerindustrie.
1845
Friedrich Englerth lässt einen Neubau des Wohnhauses der Eschweiler Burg nach romantisierenden Vorstellungen gestalten. Als Baumeister engagiert er Friedrich Heinrich Exner. Der ästhetisch zeitlos unglückliche Bau wird im Volksmund Kaffeemöll Kaffeemühle genannt. 1967 wird er dem Neubau des St. Antonius-Hospitals weichen.
1847
Der Eschweiler Bergwerks-Verein (EBV) gerät in eine Finanzkrise und kooperiert seitdem mit der Kölner Privatbank Sal. Oppenheim.
Der »Heinrichsschacht« bei Weisweiler wird durch den EBV abgetäuft und wenig später erfolgt dort die Kohleförderung.
1848
Im Revolutionsjahr erscheinen in Eschweiler drei Zeitungen. Nur das sich »auf dem Boden des Gesetzes« liberal-demokratisch gebende Eschweiler Volksblatt von J. Kaldenbach ist fortschrittlicher.
1850
Auf die revolutionären Umtriebe von 1848/49 folgt die Restauration. Bürgermeister (seit 1845) Franz Quadflieg verhängt am 22. Januar ein Vermummungsverbot auf Eschweiler Boden: Wer sich an Karneval maskiert auf der Straße zeigt, wird mit einer Geldstrafe belegt.
1852
In Eschweiler findet ein Rosenmontagszug statt.
1855
Die Belegschaft in der Grube Centrum erreicht mit 1.348 Mann ihren höchsten Stand.
Um Weihnachten soll Förster Lersch am Ichenberg den letzten wilden Wolf in Eschweiler erlegt haben. Nach anderer Darstellung erfolgte die letzte Wolfsjagd bereits in den 1840er Jahren in einem Winter und am Donnerberg, und Schütze soll hier Förster Wandelt gewesen sein. Erst im Jahr 2005 wird in Eschweiler wieder ein Wolf gesichtet.
1856
In Nothberg wird der Schacht »Wilhelm« (Schacht I) abgetäuft. Ab 1862 wird dort Reserve mit zwei Schächten als eigenständige Grube des Eschweiler Bergwerks-Vereins geführt und wird schließlich auch die letzte Grube des Eschweiler Bergbaus und im Inderevier sein. 1864 erhält die Grube ein eigenes Anschlussgleis an die Rheinische Eisenbahn von Köln nach Aachen.
1857
Die Grube Centrum erreicht mit 297.762 Tonnen den höchsten Stand der jährlichen Fördermenge.
1858
Am 26. April werden der Gemeinde Eschweiler durch Allerhöchste Kabinettsorder König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen die Stadtrechte nach der rheinischen Städteordnung vom 15. Mai 1856 verliehen. Die Städteordnung enthält scheindemokratische Elemente: Der Bürgermeister ist die »Obrigkeit«. Er und die besoldeten Beigeordneten werden von der Stadtverordnetenversammlung auf 12 Jahre oder auf Lebenszeit gewählt. Die Wahl der Stadtverordneten bestimmt sich nach Wirtschaftskraft. Frauen sind vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen. Bürgermeister (1851 – 1859) ist Augustin Piedmont.
Die Ortschaften Hehlrath, Kinzweiler und St. Jöris werden ausgemeindet und bilden bis zur erneuten Eingliederung 1972 die Gemeinde Kinzweiler. Indes wird die Gemeinde Kinzweiler noch bis 1901 von der Stadt Eschweiler verwaltet.
1859
Die im Zuge der Industrialisierung auf dem Reißbrett geplante Stadterweiterung südlich der Inde setzt ein und wird zunächst 1870 abgeschlossen sein. Die Neustraße ist die erste in dieser Neustadt erbaute Straße.
1865
Die Draht-Fabrik-Compagnie firmiert um in Eschweiler Drahtfabrik Compagnie und verlegt den Sitz nach Eschweiler, wo die Fabrik seit 1822 produziert.
1869
Nachdem in der Restauration alle Arbeitervereine verboten worden sind, kommt es unter Wilhelm I. von Preußen (König seit 1861) und bereits unter seiner Regentschaft (1858) zu Liberalisierungen (u.a. 1858 Entlassung des Oberpräsidenten der Rheinprovinz, Hans Hugo von Kleist-Retzow). Unter den sich nun neugründenden Arbeitervereinen ist der 1863 in Sachsen und maßgeblich unter Beteiligung von Ferdinand Lassalle gegründete »Allgemeine deutsche Arbeiterverein« (ADAV) der bedeutendste und die erste sozialistische Massenpartei. Arbeiter aus Eschweiler und Bergrath treten dem ADAV bei und gründen 1869 einen Ortsverein, der im Oktober bereits zum sechstgrößten der neuen sozialdemokratischen Ortsvereine angewachsen ist. Zugleich tritt die 1868 im Umfeld des ADAV gegründete »Allgemeine Genossenschaft der Berg-, Hütten- und Salinenarbeiter« in der Region Aachen in Erscheinung.
1873
Eröffnung der Bergisch-Märkischen Bahnlinie Aachen – Eschweiler – Jülich – Mönchengladbach.
1879
Das Eschweiler Friedensgericht wird am 1. Oktober in ein Amtsgericht umgewandelt. 1881 zieht das Amtsgericht in das neue Gebäude an der Marienstraße/Rosenallee ein.
1880
Durch Allerhöchste Kabinettsorder ist die Stadt Eschweiler per 31. Dezember zur Führung eines Wappens berechtigt.
1888
Die Seilbahn von der Grube Reserve über die Hundsgracht zwischen Röthgen und Bergrath zum Eschweiler Stadtwald wird fertiggestellt. Ab 1932 beginnt über die Seilbahn die Aufschüttung des Abraums aus der Zeche Reserve zum »Schwarzen Berg«, der heute noch rund 50 Meter hohen (250 Meter ü. N.N.) Halde als Wahrzeichen des Bergbaus in Eschweiler.
1891
Der Bergbau in Pumpe-Stich wird eingestellt, die Grube Centrum indes weiter zur Kohlewäsche benutzt.
1894
Auf dem Gelände der Grube Reserve wird eine Kokerei gebaut, es folgen bald eine Benzolfabrik und eine Teerdestillation.
1895
Zusätzlich zur Haldeseilbahn zum »Schwarzen Berg« werden weitere Seilbahnen durch das Stadtgebiet zum Kohle- und Kokstransport gebaut, unter anderem nach Pumpe-Stich zur Kohlewäsche.
1897
Eschweiler bekommt eine elektrische Straßenbahn: Die »Tram« soll die Arbeiter pünktlich und geordnet zu den Industrieplätzen bringen. Die erste Linie fährt von Nothberg nach Halmich.
1900
Eschweiler hat 21.668 Einwohner.
1902
Infolge der Schwerindustrialisierung gründet Ludwig Carbyn, zunächst langjährig Beigeordneter der Stadt Eschweiler, am 3. April, drei Wochen nach seiner Bestellung zum Bürgermeister (1902 – † 1910) eine gemeinnützige Wohnungsgenossenschaft. Diese errichtet indes erst von 1927 bis 1930 an der Ludwigstraße/Nothberger Straße 119 Wohnungen. Eschweiler Arbeiterfamilien leben derweil in ziegenstallähnlichen Verschlägen im Stadtgebiet und damit unter dem Vergleichsniveau andernorts in Deutschland. Der Wohnungsbau ist freilich keine sozialpolitische Maßnahme: Die Errichtung werksnaher Arbeitersiedlungen liegt im Interesse der Industrie, hält Facharbeiter und ist »das wohlverstandene eigene Interesse der Arbeitgeber, indem dieselben Alles vermeiden müssen, was den leicht erregbaren Argwohn der Arbeiter wachrufen könnte«.
1906
Die Inde führt Hochwasser und überschwemmt die Innenstadt und weitere Stadtteile. Große Teile der Drahtfabrik fallen ein.
Aus der 1899 aufgeteilten Firma Englerth & Cünzer ist das Werk in Pumpe der neugegründeten Eschweiler Maschinenbau Aktiengesellschaft übertragen worden, die sich nun mit der Firma Koch & Wellenstein aus Ratingen zur Eschweiler-Ratinger Maschinenbauaktiengesellschaft (ERMAG) zusammenschließt, die ab 1917 als Herstellerin nahtloser Stahlröhren bekannt werden wird und deren letzte Nachfolgerin, die ESW-Röhrenwerke GmbH, heute den schließlich letzten größeren Betrieb der schweren Eisen- und Stahlindustrie im Indetal betreibt.
Der Eschweiler Bergwerks-Verein (EBV) fusioniert mit der Vereinigungsgesellschaft für Steinkohlenbau im Wurmrevier. Die neue Gesellschaft firmiert unter EBV und ist eine der größten Zechengesellschaften Europas. Im Jahr 1907 wird es ca. 2,0 Mio t Kohle fördern und in seinen Kokereien rund 500.000 t Koks erzeugen. Die Belegschaft steigt auf über 10.000 Mann an. Bis zum ersten Weltkrieg wird die jährliche Förderung auf rund 3,0 Mio t Kohle und 950.000 t Koks gesteigert werden.
1907
Bürgermeister Carbyn bemüht sich, dass von Köln Militär nach Eschweiler verlegt wird. Eine Garnison belebt die Konsumwirtschaft, sorgt in einer Industriestadt aber auch für den Arbeitsfrieden und dies ganz im Sinne der Industriellen, der Fabrik- und Bergherren: Streiks gelten in einer Gesellschaft, in der alles seinen festen Platz hat, als ungebührlich.
Das Amtsgericht bezieht das neue Gebäude in der Kaiserstraße, wo es heute noch ansässig ist. Das Gebäude trägt heute noch an der Fassade in Stein die Redewendung »Jedem das Seine«, die Verteilungsgerechtigkeit bedeutet. 1914 erscheint der Spruch auf den Koppelschlössern der deutschen Soldaten, die das neutrale Belgien überfallen und den 1. Weltkrieg auslösen, 1937 über dem Haupttor des KZ Buchenwald.
1909
Eschweiler bekommt eine »Volksbibliothek und öffentliche Lesehalle« mit rund 800 Bänden. Die heutige Stadtbücherei führt rund 40.000 Bände und ist elektronisch vernetzt.
In Weisweiler wird die Brikettfabrik errichtet.
1910
Der industrielle Braunkohletagebau erreicht den Norden von Eschweiler und wird von nun an das Gesicht der Stadt und ihres Umlandes entscheidend prägen. Braunkohle wird aber bereits im Untertagebau, etwa die Felder bei Pützlohn, gefördert.
1912
Nach den Bemühungen von Bürgermeister Carbyn, fortgesetzt von Bürgermeister Hettlage und mit Unterstützung durch den Eschweiler Beigeordneten und Reichstagsabgeordneten Josef Nacken (katholische Zentrumspartei) erhält Eschweiler die seit 1907, mit dem Anstieg der Industrie- und Bergarbeiter in der Bevölkerung, verlangte Militär-Garnison zur Sicherung des Arbeitsfriedens und zur Belebung der Konsumwirtschaft. Die Stadtverwaltung nimmt eine Anleihe von 1,25 Millionen Mark auf, um eine Kaserne im Stadtgebiet zu errichten.
1913
Am 7. Februar wird in Köln aus dem Zusammenschluss mehrerer Kapitalgesellschaften (»Gewerkschaften« im bergrechtlichen Sinne) die Braunkohle-Industrie Aktiengesellschaft (BIAG) »Zukunft« gegründet. Die BIAG betreibt den Tagebau »Zukunft« bei Dürwiß.
Der Eschweiler Bergwerks-Verein (EBV) verlegt seine Hauptverwaltung von Eschweiler-Pumpe nach Kohlscheid (seit 1972: Herzogenrath), da sich die Kohleförderung vom Inde- ins Wurmrevier verlagert hat. Die Büroräume im »Bergamt« genannten Hauptverwaltungsgebäude in Pumpe werden von der 1911 gegründeten Hüttenabteilung des EBV übernommen. Mit dem 1911 durch Fusionen entstandenen luxemburgischen Stahlkonzern ARBED wird ein Interessenvertrag geschlossen, mit dem die Koksversorgung für die Stahlproduktion und die Abnahme der Koksproduktion sichergestellt werden. 1926 wird die ARBED die beherrschende Hauptaktionärin des EBVs sein.
1914
Nach zweijähriger Bauzeit ziehen unter großer Anteilnahme der Bevölkerung feierlich begrüßt am 1. Juli vier Kompanien des 2. Bataillons des preußischen Infanterie-Regiments 161 (10. Rheinisches) mit 772 Mann in die fertiggestellte Infanterie-Kaserne in der heutigen Preyerstraße/Gartenstraße (bis 1955 Kasernenstraße, zeitweise Hindenburgstraße, ursprünglich Lohner Straße) ein, »vom schönen Trier in die Kohlenstadt Eschweiler«.
Am 1. Juli nimmt auch das Kraftwerk »Zukunft« in der damals noch selbständigen Gemeinde Weisweiler den Probebetrieb mit einer Leistung von 12 MW auf. Verstromt wird Braunkohle aus dem Tagebau »Zukunft« bei Dürwiß. Kraftwerksbetreiber ist die Kraftwerk AG Köln.
Neueste Geschichte 1914 - 1929
1914
Am 1. August erklärt der deutsche Kaiser Wilhelm II. und König von Preußen dem Kaiserreich Russland den Krieg, zwei Tage später auch der Republik Frankreich. Über den Eschweiler Bahnhof rollen die Truppentransporte für den deutschen Überfall auf das neutrale Königreich Belgien, wo deutsche Soldaten die ersten Kriegsverbrechen begehen, und dieser Überfall löst am 4. August die Kriegserklärung Großbritanniens als Garantiemacht für die Neutralität Belgiens aus. Der erste Weltkrieg hat begonnen und wird – obgleich von Kaiser- und Königreichen geführt – der erste industriell geführte Abnutzungskrieg der Geschichte und somit der erste mit Millionen, rund 11 Millionen von Toten sein. Die Garnision aus Eschweiler wird in der Nacht vom 5. auf den 6. August auf die Schlachtfelder geschickt. Im Infanterieregiment 25 leisten auch Jos. Brandt und Mathias Reis Kriegsdienst, und werden gleich am 6. August in der Frühe getötet, nach der Meldung in der Lokalpresse aus der Verlustliste die ersten Eschweiler Kriegstoten. Der nächste Kriegstote aus dem heutigen Eschweiler kommt aus Nothberg und ist der Landwehrmann Jakob Mertens, Landwehrregiment 65. Der Landwehrmann Heinrich Schiffgens aus Weisweiler wird vermisst. Im späteren Verlauf des Kriegs werden die Verlustlisten nicht mehr veröffentlicht. In der Lokalpresse wird die Eschweiler Bevölkerung zu mehr Kriegsbegeisterung aufgerufen. So werde in Eschweiler deutlich weniger geflaggt als anderswo. Die Bevölkerung flüchtet derweil in das Münzgeld, Banknoten und Kassenscheine werden gemieden. Eine Teuerung für Lebensmittel und Verbrauchsgüter setzt in Eschweiler ein. Die Gewerkschaft (bergrechtliche Kapitalgesellschaft) »Zukunft« erklärt, dass sie ihre Preise für Brankohle-Briketts nicht erhöht habe, die Teuerung geht von den Zwischenhändlern aus. In der örtlichen Industrie und im Gewerbe werden Beschäftigte jedoch mit Änderungskündigungen vor die Alternative gestellt: Vergütungskürzung oder Entlassung. Die Stadt Eschweiler legt ein Notprogramm mit 100.000 Mark auf, mit dem Arbeiterfamilien, deren Ernährer in den Krieg geschickt worden sind, mit Lebensmitteln unterstützt werden sollen. Anträge können bei den Armenpflegern der Stadt gestellt werden.
Ab dem 1. September speist das Braunkohlekraftwerk in Weisweiler Strom in das öffentliche Netz ein. Geleistet werden 12 MW.1915
Die Braunkohle-Industrie Aktiengesellschaft (BIAG) »Zukunft« verlegt ihren Sitz von Köln nach Eschweiler in das Gebäude des früheren Kirschenhofes Ecke Dürener-/Parkstraße.
Die Stadt gibt Bons in 25-Pfennig-Werten für den Erwerb von Lebensmitteln heraus. Die Gutscheine können von jedermann erworben werden, da es wegen der Flucht in das Münzgeld an Kleingeld im Umlauf mangelt. Indes soll auch die durch den Krieg verstärkt notleidende Bevölkerung zur Vermeidung von Unruhen weiter unterstützt werden. Denn drei Viertel der Eschweiler Soldaten sind Industriearbeiter und Eschweiler Arbeiterfamilien haben bereits in der Vorkriegszeit in unwürdigen Verhältnissen und im Vergleich zu anderswo im Reich unter besonders schlechten Bedingungen gelebt; oft mussten sie im Stadtgebiet in ziegenstallähnlichen Hütten hausen – ein Zustand, der teils auch noch für die Zeit in den 1950er Jahren belegt ist. Ende des Jahres eröffnet die Stadt daher auch eine Kriegsküche zur Speisung der armen Leute.1916Ernährungswirtschaftlich hat Deutschland den Krieg bereits verloren. Vor Kriegsbeginn importierte das Reich zwei Drittel seines Bedarfs an Lebensmitteln, was durch das kriegsbedingte englische Handelsembargo weggefallen ist. Das Kriegsernährungsamt greift um des »Burgfrieden«, des Kriegskorporatismus zwischen Sozialdemokratie und Kapital willens auch zu drastischen Maßnahmen der Zwangswirtschaft, die allerdings nicht immer den ihnen zugedachten Erfolg erzielen. Die Stadt gibt 1916 anstatt der Bons von 1915 Münzen zu 50 und 100 Pfennigen in minderwertigen Legierungen heraus. Dennoch erreicht die Lebensmittelnot im ganzen Reich mit dem »Steckrübenwinter« 1916/17 einen ersten Höhepunkt und trifft Eschweiler, als Industriestadt Bedarfsgemeinde, besonders hart und in der Stadt insbesondere die Arbeiterfamilien, die sich weder Hamsterfahrten, Korruption noch Schwarzmarkt leisten können. Infolge der Rationierung von Getreide und dem im freien Angebot nahezu völligen Fehlens von Fleischprodukten kommt es 1916 zu einem erhöhten Verbrauch von Kartoffeln und im selben Jahr zu einer Missernte derselben. Im Winter 1916/17 werden in Eschweiler – wie anderswo im Reich auch – Steckrüben, eine Kohlart, anstatt Kartoffeln angeliefert und werden damit insbesondere für die Arbeiterfamilien zum wichtigsten Nahrungsmittel: Steckrübenbrot, Steckrübenmarmelade, Steckrübensuppe, Steckrübenauflauf, Steckrübenkoteletts … Nur fehlt es allgemein am Fett, um die Rüben als Nahrungsmittel zu verwerten und zu einer einigermaßen vertretbaren Alternative zu machen, und dies betrifft wieder überwiegend die wirtschaftlich schwachen Einwohner.1917
Der »Steckrübenwinter« hält unvermindert an.
Bei der Eschweiler-Ratinger Maschinenbauaktiengesellschaft (ERMAG) wird der Betrieb vollständig auf die Fabrikation von nahtlosen Stahlröhren umgestellt und bis 1919 werden zwei Siemens-Martin-Öfen errichtet.1918
Am 23. September wird ein Mieteinigungsamt in Eschweiler errichtet. Die Arbeiterställe leiden infolge kriegsbedingt fehlenden Materials unter der Vernachlässigung der ständig notwendigen Reparaturen. Es kommt zur Wohnungsnot bei den Arbeitern und dabei zu »Gegensätzen« zwischen Vermietern und Mietern.
Für »Kaiser, Volk und Vaterland« sind 662 Männer aus dem Gebiet des heutigen Eschweiler auf den Schlachtfeldern gestorben, ungezählte verkrüppelt, verwundet und vermisst, überwiegend Arbeiter. Rund 20 Jahre später werden wieder Eschweiler im Krieg sterben, diesmal für »Führer, Volk und Vaterland«. Gestorben wird aber nicht nur auf den Schlachtfeldern: Die »Spanische Grippe« findet unter der ernährungsbedingt geschwächten Bevölkerung leicht Opfer. In der zweiten Welle der Influenza im Oktober und November 1918 sterben 126 Eschweiler. Traurigster Tag ist der 26. Oktober mit 15 Todesfällen. Von drei Bürgern sind zwei erkrankt und doch verharmlost die deutsche Pressezensur die Influenzawelle zunächst.
Deutschland hat den Krieg nun auch militärisch verloren. Die Oberste Heeresleitung unter Hindenburg und Ludendorff, die das Geschehen an Reichsregierung und Reichstag vorbei bestimmt hat, zieht sich aus der Affäre. Sie überlässt die Kapitulation den im »Burgfrieden« der Reichsregierung beigetretenen sozialdemokratischen Mitgliedern und begründet die »Dolchstoßlegende« von dem im Felde unbesiegten Heere, das von der Zivilregierung verraten worden sei. Dies wird von Rechtskonservativen bis in den Zweiten Weltkrieg und den braunen Epilog rezipiert. Davon lässt sich auch der Hauptmann im Generalstab Walter Model beeindrucken, dessen brutaler »Durchhaltewille« 1944 als Nazi-General für die Allerseelenschlacht im Hürtgenwald und für die Verheerung von Eschweiler verantwortlich sein wird.
Am 9. November wird die deutsche Republik ausgerufen, der Kaiser flüchtet ins niederländische Exil. Am selben Tag um 11 Uhr bildet sich in Eschweiler ein Arbeiter- und Soldatenrat unter dem Vorsitzenden Wienecke. Weitere Mitglieder sind Erich Stein, Joseph Klemmer, Edmund Kiers (Soldatenrat) sowie Richard Nöhlings, Joseph Kuck, Ferdinand Lantzen, Johann Franken und Balthasar Münstermann (Arbeiterrat). In einem Flugblatt betonen die Räte, dass sie keine »russischen Zustände«, wohl aber Sicherheit und Ordnung anstrebten und ihre »berechtigten Forderungen in Ruhe durchsetzen« wollten, und laden die Bürger zu einer Versammlung in die Schützenhalle ein. Die Ernährungspolitik der Stadt wird scharf getadelt und im Zusammenhang mit der »Spanischen Grippe« werden schwere Vorwürfe auch gegen die Ärzte in der Stadt erhoben.
Am 11. November 1918 – Beginn des Waffenstillstands an der Westfront – gründet Bürgermeister (1911 – 1920) Carl Hettlage eine »Bürgerwehr«, nach dem Begriff aus den napoleonischen Freiheitskriegen, indes offiziell zum Schutz gegen Marodeure. Die »Bürgerwehr« wird von »angesehenen Bürgern« geführt, besteht aus »ehrenhaften Bürgern« und soll Plünderungen verhindern; berichtet wird von einem Einbruch ins Lebensmittelamt. »Plünderer« wird von nun an zu einem Kampfbegriff der bürgerlichen Kreise gegen hungernde Arbeiter und insofern 1923 einen blutigen Höhepunkt erleben.
Am 16. November wird das Infanterieregiment 240 in der Eschweiler Kaserne von der Stadtverwaltung feierlich empfangen, zieht freilich am 24. November, wegen der mit den Westmächten vereinbarten Entmilitarisierung des Rheinlands, wieder ab. Aus den Vorräten der abziehenden Garnision lässt sich eine kurzfristige Entspannung bei der Versorgungslage der Bevölkerung erzielen.
Die Stadtverwaltung bringt infolge der Münzgeldhortung und der Metallknappheit im Reich weiteres Notgeld heraus. »Notgeld« ist der Ersatz für Kleingeld-Münzen: Gutscheine mit Pfennigwerten auf Papier. Auf der Rückseite des 50-Pfennig-Scheins erscheint die Devise »Gedenke, dass du ein Deutscher bist«. Die Besatzungsmächte verstehen dies als Provokation. Dieses Notgeld wird indes bereits im Oktober, aber auch bis in den Dezember hinein aufgelegt.
Am 5. Dezember zieht das französische 169. Infanterieregiment in die Kaserne an der Preyerstraße ein. Eschweiler ist wieder Garnisionsstadt – unter französischer Militärverwaltung. Das entzieht revolutionären Bestrebungen die entscheidende Grundlage der Selbstverwaltung. Vor allem die Franzosen dulden die Selbstverwaltung durch Räte nicht. Sie setzen ganz und gar auf die Behörden, die ohne Selbstverantwortung Befehle ausführen. Der Arbeiter- und Soldatenrat in Eschweiler wird aufgelöst, aber auch die Bürgerwehr.
In Eschweiler wird indes der erste nachweisbare Ortsverein von Syndikalisten aus der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) (vor September 1918: Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften) im Kreis Aachen gegründet. Politisch handelt es sich um pazifistische Anarchisten, und 1919 organisieren sich solche auch in Streiffeld und bis 1921 auch in Aue, Röhe und Dürwiß, dann in Pumpe, Stich und Hastenrath und im gesamten Aachener Revier.
Die Besatzungsmächte – Belgier und Franzosen – werden bis zu ihrem Abzug 1929 eine deutliche Siegermentalität und Repressionspolitik an den Tag legen. Das erleichtert rechtskonservativen Kreisen, welche die Besatzer von Anfang an weiterhin als »Feinde« betrachten, das Erstarken des Nationalismus.1919
Im Reich wird die Revolution versucht, Sozialdemokraten und reaktionäre Kräfte konterrevoltieren. Während linke Traditionen aus Wilhelminischer Zeit im Regierungsbezirk Aachen kaum nachweisbar sind, erleben linksradikale Parteien und Gewerkschaften hier nun einen Massenzulauf. Eine Welle mit fast 100 Streiks alleine 1919 zieht durch den Regierungsbezirk Aachen. Den Anfang in Eschweiler machen die Arbeiter in der Drahtfabrik (heute: Bushof): Am 21. Februar wird dort gestreikt, am 24. Februar in der Grube Reserve, am 17. März in der Erzgrube Diepenlinchen. Streikziele sind Arbeitszeitverkürzung, Lohnerhöhung und Mitbestimmung. Der erste große Bergarbeiterstreik im Februar 1919 richtet sich gegen den Eschweiler Bergwerks-Verein (EBV). Anlass ist, dass der EBV die Lohnzahlungstermine verschieben will. Der sozialdemokratische Verband der Bergarbeiter, der auf kompromissvolle Mäßigung setzt, vermutet hinter dem Streik »radikale Kräfte« und meint damit Kommunisten und Syndikalisten. Diese bilden örtlich Gewerkschaften zu Lasten der sozialdemokratischen und katholischen Arbeitervereine, die von diesen scharf bekämpft werden.
Im Juni lösen die Belgier die Franzosen als Besatzungsmacht in Eschweiler ab. Von November 1919 bis August 1921 wird indes das französische 1er Régiment Mixte des Zouaves et Tirailleurs, die sogenannten Marokkaner, als Militärmacht in der Stadt in der Infanteriekaserne stationiert.
Auf der Grundlage des am 30. November 1918 erlangten allgemeinen, freien und gleichen Wahlrechts wird am 14. Dezember 1919 der Stadtrat in Eschweiler gewählt. Erstmals dürfen sich auch Frauen an der Wahl beteiligen. Davon profitiert insbesondere die rechtskonservative Zentrumspartei; das Wahlverhalten der Frauen lässt sich daran bestimmen, dass diese andersfarbige Wahlzettel als die Männer erhalten. Für die Zentrumspartei werden 50 % aller Wählerstimmen abgegeben, die SPD erhält 31,8 %, die Mittelstandsvereinigung 8,5 % und die Freie Bürgervereinigung 7,3 %. Kommunisten und Anarchisten nehmen an der Wahl aus ideologischen Gründen nicht teil.1920
Der rechtsgerichtete Kapp-Lüttwitz-Putsch am 13. März 1920 trifft im besetzten Rheinland auf geschlossene Ablehnung in der Arbeiterschaft, die die Reichsregierung und den von ihr verhandelten Streikaufruf unterstützt. Im Wurmrevier wird sofort gestreikt, in Eschweiler finden am 15. März Demonstrationen statt. Am Vormittag demonstriert die SPD, am Nachmittag demonstrieren die Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD), eine Abspaltung von der SPD nach deren Bewilligung der Kriegskredite im Reichstag, und anarchistische Syndikalisten, die sich beim Besuch der Redaktion des Boten an der Inde auch gegen die sozialdemokratische Reichsregierung Ebert/Noske wenden, die »mit der Waffe in der Hand gegen Volksgenossen« vorgeht. USPD und Syndikalisten rufen im Gegensatz zur SPD zur Fortsetzung des Generalstreiks auf.
Am 2. Juni erschießen Soldaten des 1er Régiment Mixte des Zouaves et Tirailleurs den Fabrikarbeiter Jakob Koch und den Polizeiwachtmeister Karl Schmitz nahe des Hauptbahnhofs in Eschweiler. Die Schützen werden am 13. Oktober 1920 von der französischen Militärjustiz freigesprochen. In Eschweiler wird dies als besonders harter Fall der Repression aufgefasst.
Bürgermeister Carl Hettlage wird wegen öffentlicher nationalistischer Bekundungen von den Belgiern verhaftet und zu Gefängnis verurteilt. Am 31. August verliert er das Bürgermeisteramt, darf schließlich auf Vermittlung der Rheinlandkommission in das unbesetzte Reichsgebiet ausreisen und wird Vizeregierungspräsident in Münster. Später wird sein Sohn Karl Maria Hettlage, 1902 in Eschweiler geboren, mit den Nazis Karriere machen und ist als engster Mitarbeiter von Albert Speer an der Vertreibung Berliner Juden beteiligt. Er setzt seine Karriere nach dem Krieg in der Regierung Adenauer fort und erhält das Bundesverdienstkreuz.
Als Nachfolger von Carl Hettlage kommt Hubert Kalvelage von der rechtskonservativen Zentrumspartei am 14. November auf den Bürgermeisterstuhl (1920 – 1944), nimmt die Dienstgeschäfte jedoch erst am 15. Februar 1922 auf, da er wegen »nationaler Gesinnung« bei den Besatzungsmächten unerwünscht ist. Er ist derweil in Münster tätig und wird von den Beigeordneten, zuletzt von Adam Elsen vertreten.
Am 22. Dezember wird der Geschichtsverein für Eschweiler und Umgebung gegründet.14. Juli 1921Der Angestellten-Streik im Bergbau bricht aus und dauert offiziell bis zum 3. August an. Das Aachener Gewerbegericht bestätigt im Wesentlichen die im Zuge des Streiks ausgesprochenen Kündigungen durch die Arbeitgeber.1922
Da die Lebensmittelnot weiter anhält, werden Hamsterfahrten von der Stadtverwaltung geduldet. Wem das Geld für Hamsterfahrt und Korruption fehlt, geht nun auf die Felder. Gegen derartige Feldfruchtsammlungen wird die Eschweiler Polizei eingesetzt.
Beim Tagebau »Zukunft« in Dürwiß treten 52 Mann der Belegschaft den anarchistischen Syndikalisten bei, in Eschweiler-Röhe bildet sich der Syndikalistische Frauenbund, dessen Erhebung indes ausgerechnet von einem Mann bekannt gegeben wird. Bis zur Einstellung der Betriebsratswahlen im Jahr 1923 mit der Besetzung des Ruhrgebiets erzielen die anarchistischen Syndikalisten überall im Wurmrevier quasi aus dem Stand heraus beachtliche Erfolge bei den Betriebsratswahlen und werden zu einer treibenden Kraft in der Arbeiterschaft.
Nach Unruhen in Köln, in deren Verlauf die Polizei mindestens vier Einwohner erschießt, kommt es am 16., 17. und 18. November auch zur Versorgungsrevolte in Eschweiler. In der Grabenstraße (Ort der Stadtverwaltung), Judenstraße und in der Rosenallee versammeln sich 5.000 bis 6.000 Menschen und Schaufenster des Einzelhandels gehen zu Bruch. Die Polizei tritt angesichts geringer Personalstärke passiv auf, bedient sich aber auch der Blankwaffe und wird schließlich von belgischen Truppen unterstützt. Die bürgerliche Presse spricht von »auswärtigen Elementen« als Krawallmacher. Dennoch werden in Eschweiler 250 Hausdurchsuchungen vorgenommen, etliche Verhaftungen und Verurteilungen. In der Sitzung des Stadtrats am 5. Dezember werden die Ereignisse kontrovers diskutiert. Bürgerliche Vertreter sprechen von »Verbrechergeist« und dass die Mehrheit der Bevölkerung es hinnehmen müsse, in Schaufenstern Waren zu sehen, die sie sich nicht leisten könne. Der Beigeordnete Schitthof und Sozialpolitiker weisen auf die unzureichende Versorgung mit Textilien für das Gros der Eschweiler Bevölkerung hin, infolge der Textilgeschäfte Anlass des Volkszorns gewesen seien. Außerdem seien unter den 56 sofort Verhafteten lediglich elf Personen von auswärts aus der nächsten Umgebung, nämlich acht aus Dürwiß, je eine aus Weisweiler, Alsdorf und Rheinbach.
Auch in der Arbeiterschaft der Grube »Reserve« und im Tagebau »Zukunft« kommt es zu Unruhe, die indes mit Abschlagszahlungen auf den Lohn beschwichtigt werden. 11. Jan. 1923Belgische und französische Truppen besetzen das Ruhrgebiet, um die Fortsetzung von Reparationszahlungen des Deutschen Reichs zu erzwingen. Zum Abtransport der Reparationsleistungen werden Verkehrsmittel, insbesondere der Eisenbahn beschlagnahmt, was zu einer Verschärfung der wirtschaftlichen Lage im Aachener Revier, die ohnehin durch die Zollgrenze am Rhein infolge der Besatzung beschwert ist, führt. Es kommt schließlich zur Massenarbeitslosigkeit. Die Reichsregierung ruft zum passiven Widerstand auf. Die örtlichen Gewerkschaften nehmen eine differenzierte Haltung ein, woraus die Besatzungsmächte durch Spaltung der Arbeiterschaft versuchen, Kapital zu schlagen. Die Besatzung und die Massenarbeitslosigkeit befördern ein erneutes nationalistisches Aufputschen der Arbeiterschaft, insbesondere durch die sozialdemokratischen und die katholischen Gewerkvereine. Die Ruhrhilfe der sozialdemokratischen Reichsregierung wird durch die sozialdemokratische Gewerkschaft ausbezahlt – die Arbeiter, die in linken und antinationalistischen Gewerkschaften organisiert sind, werden von den Unterstützungsleistungen ausgenommen. Die Belgier versuchen, die Ruhrhilfe zu beschlagnahmen.August 1923Infolge der Inflation, eine Antwort der Reichsregierung auf die Reparationsverpflichtungen Deutschlands an die im Krieg verwüsteten Länder, kommt es zu Geldmittelknappheit. Löhne an die – zudem von der Massenarbeitslosigkeit bedrohten – Arbeiter werden daher nicht gezahlt. Hinzu tritt eine einerseits künstliche Lebensmittelverknappung, hervorgerufen durch die Inflation und damit durch die Kaufkonkurrenz aus den Grenzländern mit stabilen Währungen. Andererseits hat das Jahr 1922 mit einer Missernte aufgewartet. Arbeiter verlangen daher Waren zu herabgesetzten Preisen; ein Lebensmittelhändler in Aachen übergießt seine Bestände mit Säure, damit er diese nicht »unter Preis« an hungernde Arbeiter verkaufen müsse. Überall im Regierungsbezirk Aachen kommt es nun zu Hungerrevolten der arbeitenden Bevölkerung. Die Lebensverhältnisse der Arbeiter galten bereits in der Vorkriegszeit als unwürdig und in Eschweiler hausen Arbeiterfamilien in Ställen. Dennoch richtet die Polizei am 13. August in Aachen ein Blutbad unter Demonstranten an und schießt diese auch von hinten nieder. Als Alsdorfer Arbeiter davon erfahren und spontan demonstrieren, werden mindestens 13 Arbeiter in Alsdorf von der Polizei erschossen und etliche, die Angaben in der bürgerlichen Presse schwanken zwischen 40 und 100, schwer verletzt. Auch in Stolberg wird vor dem Gebäude des Industrieverbands demonstriert. In Alsdorf ist die Eschweiler Polizei beteiligt und bürgerliche Verwaltung und Presse stellen die »vieltausendköpfige Menge« als »Plünderer« dar, welche die »Gendarmerie bedrohen«. Später werden Demonstranten von der Justiz als Landfriedensbrecher verurteilt. Die Ermordungen durch die Polizei werden nicht aufgeklärt. Vielmehr »verhütet« auch wieder die Eschweiler Polizei »Ausschreitungen«, als die Ermordeten beigesetzt werden. Vom 14. bis 18. August kommt es daraufhin zu Unruhen in Eschweiler, zunächst in Röthgen, die von der Polizei und durch die Verfügung von Ausgangssperren niedergehalten werden.
Unter diesem Eindruck wird am 14. August in Eschweiler die Notgemeinschaft unter Vorsitz des Beigeordneten Schitthof gegründet. Landwirte der Umgebung als auch die Einzelhändler in der Stadt erklären sich bereit, bei der Preisbemessung nun auch Entgegenkommen für die Not des Bevölkerungsgros zu zeigen, und lassen sich vom Landkreis kreditieren. Der Kreis Aachen und seine Kommunen, darunter auch Eschweiler, geben erneut nach 1915 und 1918 Notgeld aus. Diesmal jedoch nicht wegen Metallknappheit und auch nicht in Pfennigsbeträgen: Diesmal sind es infolge der Hungersnot indes wertlose Millionen-, Milliarden- und gar Billionenbeträge, da der Wert der einzelnen Mark um ein Millionfaches gesunken ist und der morgens ausgezahlte Lohn am Abend kaum noch Kaufkraft hat. Die Städte Eschweiler und Stolberg geben gemeinsam das Notgeld aus. Oktober 1923
In der Woche vom 8. bis zum 15. Oktober kommt es erneut zur Hungerrevolte in Eschweiler. Entgegen des Versammlungsverbot des Landrats versammeln sich »tausende Menschen« vor allem in der Grabenstraße vor der Stadtverwaltung. Die Polizei unter Polizei-Inspektor Schreiber geht am 13. Oktober und erneut am 15. Oktober mit Schusswaffen und Säbeln in breiter Front und rücksichtslos auch gegenüber Unbeteiligten gegen die Bevölkerung vor. Der Eschweiler Anzeiger, der vor allem zu Frömmigkeit und Gebet ermahnt, erklärt die Revolte als Folge linkspolitischer »Hetze«, und, dass Randalierer sich verabredet hätten. Die Polizei werde gegen künftige Menschenansammlungen sofort mit aller Härte rücksichtslos vorgehen, Unbeteiligte seien insofern vorgewarnt und begäben sich auf eigenes Risiko außer Haus. Die städtischen Eliten verabreden erneut nach 1918 die Gründung eines »Selbstschutzes«, der die Polizei unterstützen soll.
Am 16. Oktober hissen Sonderbündler (oder auch: Separatisten, Freibündler) auf dem Haus Neustraße 43 in der Eschweiler Innenstadt die grün-weiß-rote Fahne der Rheinischen Republik (heutige Landesfarben von NRW). Schon im Ende des 19. Jh. ist die Loslösung des Rheinlands von Preußen politisches Thema. Nach ihrem Eintritt in die Reichsregierung schiebt die rechtskonservative, katholische Zentrumspartei ihre diesbezügliche Forderung jedoch auf die lange Bank. Auf dem Höhepunkt der Inflation 1923 wird aus bisher marginaler separatistischer Sektiererei spontan ein ernsthafter Eingriff in das politische Geschehen. Seit dem 21. Oktober kommt es in den Besatzungsgebieten westlich des Rheins zu teils gewaltsamen Umstürzen auf den Rathäusern. Die Besatzungsmächte, voran Frankreich betrachten die Rheinische Republik gegen den Widerstand der Reichsregierung als legitim. Am 22. und 23. Oktober versuchen Sonderbündler auch in Eschweiler einen Rathaus-Putsch. Sie scheitern indes am Wiedererstarken des deutschen Nationalismus, begünstigt durch das repressive Auftreten der Besatzer, und dem von der staatlichen Verwaltung unter dem Beigeordneten und kommissarischen Bürgermeister Elsen organisierten »Selbstschutz«. Schließlich gibt auch die in der Bevölkerung ungeliebte belgische Besatzungsmacht am 2. November auf Druck der Briten nach und weist die Separatisten aus Eschweiler aus. Aus den Reihen ehemaliger Genossen der Anarcho-Syndikalisten gibt es Unterstützung für die Separatisten. Die Freie Arbeiter-Union distanziert sich zwar, weil jede Staatsgründung ihrer idealistischen Überzeugung zuwiderläuft, wird jedoch im Zuge nationalistischen Aufputschens erfolgreich als Landesverräter und »Belgierfreunde« diffamiert. Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) wird nun zum alleinigen Machtzentrum im linkspolitischen Spektrum in Eschweiler und Umgebung.
Josef Friedrich Matthes, der als Ministerpräsident der Rheinischen Republik gegolten hat, wird 1943 im KZ Dachau von SS/Polizei ermordet.1924
Am 7. Januar eröffnet die Stadtverwaltung u.a. mit Hilfe des Roten Kreuzes wieder die Massenspeisung. Bis Ende März werden täglich 450 Literportionen ausgegeben. Im letzten Quartal des Jahres erreicht die Massenspeisung die Ausgabe von 1300 Literportionen täglich. Den Selbstkostenpreis von 25 Pfennigen kann keiner der Bezieher aufbringen. Ab Dezember gibt die Stadt keine Portion mehr unter 15 Pfennigen aus. Daraufhin geht die Zahl der Empfänger drastisch zurück.
Aus der Stadtratswahl am 4. Mai geht die rechtskonservative katholische Zentrumspartei mit 48,8 % der abgegebenen gültigen Wählerstimmen nochmals und nochmals durch die Unterstützung der Frauen (Frauen und Männer bekommen andersfarbige Wahlzettel) als klare Wahlgewinnerin hervor. Es folgen: KPD 20,4 %; Bürgerblock 12,6 %; SPD 10,7 %; Arbeitnehmerliste 5,7 %. Die Anarchisten nehmen auch an diesen Wahlen nicht teil.
Der Eschweiler Bergwerks-Verein übernimmt das Röhrenwerk und gliedert es als Ermag seiner Hüttenabteilung ein.1925Eschweiler ist Austragungsort der 1000-Jahr-Feier des Rheinlandes im Landkreis Aachen.1926
Die Arbeitslosenquote in Eschweiler liegt ständig über dem Mittelwert im Reich und erreicht nun einen Spitzenwert. Die Landesregierung etabliert den Spruch, »die Polizei – dein Freund und Helfer«, der sowohl rückwärts auf 1923 als auch vorwärts auf 1933 gewandt die Frage aufwirft, wer mit »dein« gemeint ist.
In Eschweiler treten nun auch Nazis in Erscheinung.
Die Kokerei bei der Grube Reserve des Eschweiler Bergwerks-Vereins (EBV) wird erneuert.
Der luxemburgische Stahlkonzern ARBED übernimmt 90 % des Aktienkapitals am EBV.1927Die Aachener Bergmanns-Siedlungsgesellschaft errichtet in Eschweiler-Ost an der unteren Dürener Straße neben dem dort 1903 abgeteuften Wetterschacht die Kolonie Wetterschacht. Hier wird im Sinne von Werbungskosten Wohnraum für Bergarbeiter der Grube Reserve, die vom Eschweiler Bergwerks-Verein gehalten werden wollen, geschaffen. Im Übrigen werden für die Grube Reserve meist Ungelernte aus Polen und der slowenischen Steiermark, aus Lothringen, dem Saarland, Westfalen und der Pfalz angeworben.17. Mai 1928Eröffnung eines Heimatmuseums durch den Geschichtsverein für Eschweiler und Umgebung.1929
Das Recht auf Arbeitslosen- und Krisenunterstützung wird eingeschränkt.
Am 5. November zieht die Besatzungsmacht ab. Der Abzug wird mit einer Befreiungsfeier und Freudenfeuern rund um die Stadt begleitet.
Aus der Stadtratswahl am 17. November geht die Zentrumspartei zwar erneut als stärkste politische Kraft, aber auch größte Verliererin der Wahl hervor: Sie kann nur noch 29,3 % der Wählerstimmen gegenüber 48,8 % aus den letzten Wahlen auf sich vereinigen. Es folgen die KPD mit nahezu unverändert gegenüber den letzten Wahlen 20,5 % und demgegenüber wieder abgeschlagen, jedoch mit leichter Verbesserung die SPD mit 12,2 %. Die Wahlvereinigung Handwerk und Gewerbe erzielt 17,7 % und wird drittstärkste Kraft im Stadtrat. Auf eine Arbeitsgemeinschaft entfallen 6,8 % und auf die Reichspartei des deutschen Mittelstands 5,5 % der Wählerstimmen. Die Anarchisten, die sich zwar aus ideologischen Gründen an keiner Wahl zu einer staatlichen Einrichtung beteiligen, haben jedoch seit der Verstrickung einiger ihrer ehemaligen Genossen in die Separatistenbewegung unter der Propaganda gelitten und in der Gewerkschaftsbewegung deutlich an Einfluss eingebüßt. Die Nazi-Partei NSDAP hat aber in Eschweiler eine Ortsgruppe gegründet, zunächst unter Karl Reuter (1932: SS), dann unter Oskar Sonderkamp. Bei den Wahlen zum Eschweiler Stadtrat erreicht sie 1,02 %.
Am 1. Dezember findet die zentrale Feier zum Ende der Besatzung im Rheinland in Eschweiler statt, da Eschweiler die einzige Gemeinde im Kreis Aachen gewesen ist, die unentwegt über die elfjährige Besatzungszeit Truppen aufzunehmen hatte.
Neueste Geschichte 1930 - 1945
1930
Eschweiler Nazis gründen den »Sturm 7« der »Sturmabteilung« (SA), »Standarte« 25 – Aachen. Die SA besorgt den braunen Terror auf der Straße und die Saalschlägereien, von den Nazis »Kampfzeit« genannt.
Februar 1931
Am 21. Februar explodiert Sprengstoff in einer Werkzeugkiste der Bergleute (Gezähekiste) in der Grube Reserve in Nothberg. Die Explosion tötet fünf Bergmänner sofort und verursacht eine Kohlenstaubexplosion, in deren Feuerwalze weitere 27 Bergleute umkommen, der jüngste 16 Jahre, der älteste 42 Jahre alt. 35 werden teils schwer verletzt, was nach vier Monaten als »vorläufige Anzahl« Verletzter bekannt gegeben wird. »Mitten in das Gerassel der Förderwagen, die in sausendem Tempo nach wie vor auf- und niedergingen, kamen ab und zu telefonische Mitteilungen von der Grube her, dass sich Tote oder Verwundete in dem Förderkorb befänden.« Die werden am sogenannten Alten Schacht gefördert, derweil die Kohleförderung nur kurzzeitig unterbrochen wird. Die Toten kommen in einen Raum des Zechengebäudes: »Sie lagen noch auf den Tragbahren, wie sie aus der Grube gekommen waren. […] Die meisten waren kohlschwarz verbrannt.« Es gehört zum Arbeitsalltag in den Gruben des Eschweiler Bergwerks-Vereins (EBV), dass einfache Arbeiter dort immer mal wieder vereinzelt zu Tode kommen. Weitergehende Aufmerksamkeit finden nur die Desaster mit einer größeren Anzahl Toter. Am 24. Februar findet eine Trauerfeier in der Eschweiler »Schützenhalle« in der Marienstraße statt. Es wird von der »Majestät des Todes« und von »entfesselten Naturgewalten« geredet. Doch nur ein Gewerkschafsvertreter spricht dort von unzumutbaren Arbeitsbedingungen. Im Reichstag erzwingen Kommunisten und Sozialdemokraten eine Debatte und kritisieren, dass 27 der Todesfälle bei vernünftigen Arbeitsbedingungen beim EBV, der ohne nötige Sicherheitsvorkehrungen vorzugsweise unerfahrene Billigkräfte unter enormem Leistungsdruck beschäftige, vermeidbar gewesen wären. Der Antrag der Kommunisten, zwei Millionen Reichsmark zur Unterstützung der Hinterbliebenen bereit zu stellen, wird abgelehnt: die drei Millionen für das Alsdorfer Unglück (am 21. Oktober 1930 führt Schlagwetter zu 271 Toten und 304 Verletzten) müssten für Eschweiler mit reichen. Nach zähen Verhandlungen stellen der Staat 72.000 und der EBV 40.000 Reichsmark für die Eschweiler bereit, Spenden aus der Bevölkerung bringen 31.569,95 Reichsmark. Witwen erhalten einmalig 4.000 und Waisen einmalig 1.000 Reichsmark als Unterstützung, Verletzte zwischen 100 und 200 Reichsmark.
Im Editorial ihrer Sylvesterausgabe überlässt die älteste Tageszeitung Eschweilers, der Eschweiler Anzeiger, zwei Wegbereitern der Nazis, nämlich den Antidemokraten Ernst von Wolzogen und Franz Schauwecker, das Wort, und diese propagieren, neben der für den Eschweiler Anzeiger typischen Ermahnung zu Frömmigkeit und Gebet, »Führertum und Wehrhaftigkeit«.
1932
Der »Bund deutscher Mädel«, seit 1931 die »Mädchenschaft« der Hitlerjugend, wird in Eschweiler installiert. Gretl Klinkenberg erhält dafür 1936 das »Goldene HJ-Ehrenzeichen«.
Die Arbeitslosenquote in Eschweiler beträgt zum 1. April 18 %, wobei Eschweiler indes an der Spitze im Landkreis Aachen und in Westdeutschland liegt. Die »einfache Fürsorge« (Sozialhilfe) wird nochmals um 10 % auf etwa ein Drittel des Existenzminimums gekürzt. Durchschnittlich kommen in Eschweiler auf einen Arbeitnehmer zwei wirtschaftlich Abhängige. Die Stadt erhebt eine Steuer auf den Ausschank von Bier.
Bei der Wahl des Reichspräsidenten am 10. April stimmen 65,26 % der an der Wahl teilnehmenden Eschweiler für den Verlierer des Weltkriegs und Mitbegründers der »Dolchstoßlegende«, den rechtskonservativen Feldmarschall a.D., Paul Ludwig von Beneckendorff und von Hindenburg, 18,41 % wählen den Kommunisten Ernst Thälmann, 16,33 % wählen Adolf Hitler. Zwei Wochen später bei den Wahlen zum preußischen Landtag liegt die Nazi-Partei NSDAP mit 18,94 % deutlich vor der SPD (8,75 %), aber hinter KPD (21,12 %) und Zentrum (43,14 %). Bei den Wahlen zum Reichstag am 31. Juli und 6. November liegt die Nazi-Partei hinter Zentrum, KPD und auch hinter der SPD. Allerdings ist die Wahlbeteiligung unterschiedlich, und an dem was die Nazis letztlich verlieren, legen andere rechtsnationale Parteien wie die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) und die Deutsche Volkspartei (DVP) zu. Dafür sorgt auch der Bote an der Inde, die katholische Lokalpresse: Sie beschwört seit jeher die »Gefahr des Bolschewismus« und diskrimiert die Nazis insofern positiv, als dass die als »Bollwerk gegen den Bolschewismus« versagt hätten, biedert aber gleichzeitig den Nazis die Zentrumspartei als Koalitionspartner an. Die Eschweiler DNVP- als auch DVP-Mitglieder werden indes später den Nazis beitreten und zum Teil dort auch Karriere machen.
Mit Wirkung vom 1. Oktober werden die Orte Nothberg, Bohl, Volkenrath, Hastenrath und Scherpenseel aus dem Kreis Düren nach Eschweiler eingemeindet. Das bewirkt in Eschweiler einen deutlichen Stimmenzuwachs für die Linksparteien bei der Reichstagswahl im November.
1933
Am 30. Januar wird Adolf Hitler von Reichspräsident Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt und mit der Bildung einer »Regierung des nationalen Zusammenschlusses« beauftragt.
Am 27. Februar beginnt die Polizei im gesamten Landkreis Aachen die »Aktion gegen Kommunisten«. Bis Ende März sind zehn Funktionäre der KPD aus Eschweiler verhaftet, in Baesweiler sind es 40. »Flüchtige« Kommunisten werden von der Polizei gesucht.
Am 8. März marschieren 50 rechtsnationalgesinnte Männer von SA und »Stahlhelm« (»Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten«, Wehrverband der rechtsnationalen und antisemitischen Deutschnationalen Volkspartei, DNVP) unter der Führung des Nazi-Ortsgruppenleiters Oskar Sonderkamp und hissen auf allen öffentlichen Gebäuden in Eschweiler und Dürwiß die Hakenkreuzfahne und Schwarz-Weiß-Rot des Kaiserreichs.
Aus den Kommunalwahlen am 12. März in Eschweiler bei knapp 68 % Wahlbeteiligung geht die NSDAP deutlich gestärkt als zweitstärkste Partei mit 29,7 % (10 Sitze) nach dem Zentrum (gottgläubige, katholische Rechtsnationale und Rechtskonservative) mit 32,4 % (ebenfalls 10 Sitze) hervor. Die KPD liegt mit 14,8 % und damit erheblichen Verlusten gegenüber dem Wahlergebnis von 1929 vor der SPD, die mit 12,8 % leicht hinzugewinnt. Der den Nazis nahe Nationale Block erreicht 5,3 % und 1 Sitz.
Am 21. März finden in Eschweiler, Dürwiß, Weisweiler, Stolberg, Lamersdorf, Mausbach, Wenau und Umgebungen Fackelzüge und »vaterländische Kundgebungen« zum »Tag der Nation« (Reichstagseröffnung) statt. In Eschweiler übernimmt die Stadtverwaltung die Organisation und Bürgermeister Hubert Kalvelage (Zentrum) fordert zur Beflaggung auf. Es marschieren dort der Reiterverein aus Röhe an der Spitze, dann SA, Schüler aller Eschweiler Schulen (der Unterricht fällt aus), Feuerwehr, »Stahlhelm«, der »Eschweiler Kriegerverein«, Sportvereine, Pfadfinder, Jäger, Schützenvereine pp. zum Marktplatz; in Dürwiß wird der Aufmarsch vom Landwirtschaftlichen Kasinoangeführt. Auf dem Eschweiler Marktplatz sprechen Bürgermeister Kalvelage, der sich zu »treudeutscher Gesinnung« und dem »wehrhaften Staat« bekennt, und nach diesem und in derselben Tonlage Studienrat Conrad und Nazi-Führer Sonderkamp. In dem in Eschweiler erscheinenden Allgemeinen Anzeiger heißt es, dass 4.000 bis schließlich 12.000 »begeisterte« Eschweiler in den »dreifachen Heil-Ruf« einstimmen.
Bürgermeister Hubert Kalvelage (Zentrum) arrangiert sich auch im Stadtrat sofort mit den Nazis und bleibt so bis zu seinem Tod 1944 im Amt. Später wird es heißen, er habe die Beamtenschaft schützen wollen. Fälle derart sind indes nicht bekannt geworden, vielmehr wurden die wenigen sozialdemokratischen Bediensteten insbesondere aus der Arbeitsverwaltung entfernt. Tatsächlich forderte Kalvelage am 25. März 1933 alle Bediensteten der Stadtverwaltung, die sich nicht hinter die Nazis stellen wollten, ultimativ auf, den Dienst zu verlassen, und zugleich erklärte der Vorsitzende des Beamtenausschusses (ähnlich: Personalrat), dass sämtliche Bedienstete in »treudeutscher nationaler Gesinnung« hinter dem NS-Regime stünden. Auch die Eschweiler Polizei unter, mittlerweile Polizei-Oberinspektor, Schreiber, der 1923 gegen die Hungerrevolten in Eschweiler mit Waffengewalt vorgegangen ist, stellt sich ausdrücklich mit allen Polizeibediensteten uneingeschränkt hinter die »nationale Regierung« und will »gegen alle, die sich gegen diesen [den NS-, HvL] Staat stellen« energisch durchgreifen. Allgemein im Hinblick auf die Bürokratie des Reichs ist Hitler es gelungen, davon zu überzeugen, dass er den radikalen braunen Terror der Straße nunmehr in Gesetze gießt (Beendigung der NS-Revolution) und einen Legalitätsanschein schafft, sodass die Bürokraten sich nun nur allzu willig nazifizieren. Derweil kommt es bei der extremen Linken in Eschweiler zu Protesten und spontanen Arbeitsniederlegungen.
Am 31. März tritt der neue Stadtrat zusammen. Die gewählten Sozialdemokraten bleiben der Sitzung mit der Bitte um Urlaub fern, die gewählten Kommunisten sind gar nicht erst geladen worden, und am 20. März wird die KPD reichsweit verboten. Die Versammlung in Eschweiler, an der Spitze Bürgermeister Kalvelage, stellt sich hinter die »nationale Erhebung«. Der Rat trägt dem Reichspräsidenten Hindenburg, dem Verlierer des Weltkriegs und Mitbegründer der Dolchstoßlegende, als »ruhmvollen Führer in Krieg und Frieden« und dem Reichskanzler Hitler als dem »großen Führer der deutschen Freiheitsbewegung« die Ehrenbürgerschaft an. Auf Antrag von Oskar Sonderkamp von den Nazis werden Straßen nach Nazi-Granden und die Judenstraße nach einem »Märtyrer der Bewegung« umbenannt, Rosenallee in Adolf-Hitler-Straße, Ebertstraße in Hermann-Göring-Straße, Judenstraße in Horst-Wessel-Straße, Franzstraße in Robert-Ley-Straße. Die Stadtverordneten Ellinghoven (Zentrum) und Strauch (Liste Strauch) haben Bedenken, die Ebertstraße (nach dem sozialdemokratischen Reichspräsidenten Ebert) wegen dessen Ansehen in der Arbeiterschaft umzubenennen. Stadtverordneter Schneider distanziert sich für die Zentrumsfraktion vom Fraktionskollegen Ellinghoven. Die Umbenennung wird schließlich auch mit der Stimme Ellinghovens beschlossen, einzig allein Strauch, der sich unterdessen in der Sitzordnung nach rechts zu den Nazis selber angesiedelt hat, stimmt dagegen. Die Umbennenung der Franzstraße wird dann aber doch nicht vollzogen, weil Straßenbenennungen nach lebenden Nazis – ausgenommen Hitler – ›oben‹ unerwünscht sind, und die Ebertstraße wird schließlich nach einem »Blutzeugen« der Nazis in Klaus-Clemens-Straße umbenannt.
Am 1. April beginnt in Eschweiler die Judenverfolgung. Es wird die jüdische Schule geschlossen. Gleichzeitig erscheint in der lokalen Nazi-Presse ein Aufruf des mittelfränkischen »Gauleiters« und berüchtigten Nazi-Hetzers Julius Streicher zum »Judenboykott« und überall in Eschweiler ziehen ›deutsche Wachen‹, Eschweiler SS- und SA-Männer, vor jüdischen Geschäften auf. Auch die gerade in der Stadt tagende Reichsbetriebsgemeinschaft Handelverlangt den Boykott jüdischer Kollegen.
Am 1. Mai tritt Bürgermeister Kalvelage der Nazi-Partei bei. Am 19. Mai legen die in den Stadtrat gewählten Sozialdemokraten ihre Mandate nieder. Die Fraktion der Zentrumspartei tritt geschlossen zu den Nazis über, im Juni löst sich die Zentrumspartei auf. Die noch bestehenden Gewerkschaften werden aufgelöst bzw. verboten. Die Nazis verhängen einen Aufnahmestopp für die NSDAP, da der Zulauf nicht so bewältigt werden kann, dass bloße Opportunisten ausgeschlossen sind. In Eschweiler kommt es dennoch dazu, dass die örtliche NSDAP angesichts der Mitgliederzahl sich nunmehr in drei Ortsgruppen statt der einen seit 1929 gliedert. Für Hitler-Jugend, SA, SS und Arbeitsfront gilt der Aufnahmestopp indes nicht.
Im Juli wird das erste Aufgebot der sogenannten Hilfspolizei für den Landkreis Aachen von Landrat Claßen u.a. mit »dem dreifachem Sieg-Heil auf unseren Führer« vereidigt. Die Hilfspolizei für den Landkreis besteht aus SA- und SS-Männern und ist in Eschweiler kaserniert (Infanterie-Kaserne). Sie ist insbesondere an der Verfolgung all jener, die vom Regime als »staatsfeindlich« angesehen werden, beteiligt – Juden, Kommunisten, Sozialisten, Freigeister pp. Für die Kosten der Kasernierung kommt die örtliche Industrie auf, bewaffnet wird die Hilfspolizei aus den Beständen der regulären Polizei, Kommandeur ist SA-Sturmbannführer Lucian Wysocki, Gesteinshauer in Baesweiler und Reichstagsabgeordneter der Nazis im Wahlkreis 20 (Köln-Aachen), später SS- und Polizeiführer im »Ostland«, besetztem Gebiet in Russland. Die Hilfspolizei geht schließlich in das SA-Feldjägerkorps über. Nach dessen Auflösung 1936 werden die Feldjäger wahlweise zurück in die NS-Formationen geführt oder in die reguläre Polizei eingegliedert. So geht Josef Kuiff aus Eschweiler zurück in die SA und wird 1937 Ortsgruppenleiter der NSDAP in Eschweiler und Ratsmitglied, Fritz Brandt aus Röhe wird Leutnant der Eschweiler Polizei.
Während im Landkreis »Säuberungen« der Kommunalverwaltung vorgehen, wird Kalvelage am 30. August vom Rat einstimmig als Bürgermeister bestätigt.
Anfang November schaltet sich der Deutsche Handlungsgehilfen-Verband (DHV), die reichsweit größte Angestellten-Gewerkschaft, in Eschweiler gleich und überführt sich selbst in die Deutsche Arbeitsfront (DAF) der Nazis. Der DHV ist seit seiner Gründung 1895 antisemitisch und eine Hauptgeldquelle der Rechten. Unter seinem Dach versammeln sich Anhänger aller rechtsnationalen Parteien und der Zentrumspartei.
Am 12. November stimmen 85,4 % der wahlberechtigten Eschweiler bei einer Wahlbeteiligung von 98,6 % für den »Einheitswahlvorschlag« der Nazis zum Reichstag, 87,2 % für den Austritt des Reichs aus dem Völkerbund. SA, SS und NSKK (Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps) haben die Wähler mobilisiert. Am 19. November begeht die Evangelische Kirche in Eschweiler den Luthertag – um neun Tage verspätet aus Rücksicht auf die durch die Parteienverbote manipulierten Reichstagswahlen am 12. November. Die Nazis vereinnahmen die Festivität, überhaupt: die evangelische Kirche in Eschweiler ist ein Bahnbereiter für die Nazis. Pfarrer Friedrich Kreip tritt der NSDAP bei.
Die Eschweiler Kaufmannschaft ruft im Dezember den Slogan »Deutsche, kauft nur in deutschen Geschäften« aus, und es erscheinen Werbungen für »deutsche Weihnachten« mit Angeboten aus »deutschen Geschäften« in Eschweiler. Arbeitslose müssen von nun an jede Arbeit annehmen, Hilfsbedürftige erhalten Sachleistungen. Die Bauern aus Alsdorf, Höngen, Kinzweiler und Eschweiler werden in die intensive Landwirtschaft des NS-Staats eingeführt. Die im Jahresverlauf begonnenen und nun abgeschlossenen Bohrungen bei Hehlrath im Amt Kinzweiler veranlassen dazu, dort mit der Ausbeute von Braunkohle für die Energiewirtschaft zu beginnen.
1934
Am 28. Februar wird die Zeitungslandschaft in Eschweiler nochmals, nach dem Verbot linker Zeitungen, kleiner: Auch der Allgemeine Anzeiger für Eschweiler und Stolberg stellt sein Erscheinen ein. Das hat jedoch nichts mit der Gleichschaltung zu tun. Diese Zeitung und vor ihr schon die älteste am Ort, der bis 1931 erschienene Eschweiler Anzeiger, sind seit jeher antidemokratisch und schon vor der »Machtergreifung« auf Kurs der Nazis gewesen. Der Anzeiger aus dem Eschweiler Verlag Dostall kränkelt ökonomisch spätestens schon seit der Krise 1931, und nun geht es um den Anzeigenmarkt, der für zwei rechtsnationale Blätter im relativ kleinen, und außer der Industrie kapitalarmen Eschweiler sehr überschaubar ist. Insofern tritt der Allgemeine Anzeiger hinter den Westdeutschen Beobachter aus dem Verlag der NSDAP zurück. Der Handel dabei ist, dass der Verlag Dostall den Lokalteil für das Nazi-Blatt druckt.
Am 18. April löst sich die Eschweiler Ortsgruppe der Deutschen Volkspartei (DVP) auf. Den Mitgliedern wird empfohlen, sich den Nazis anzuschließen.
1935
Per 1. Januar werden Donnerberg, Birkengang, Steinfurt und Steinbachshochwald nach Stolberg ausgemeindet.
Im weiteren Verlauf des Januars nimmt die Geheime Staatspolizei (Gestapo, kriminalpolizeiliche Behörde) 11 Personen aus Eschweiler und Stolberg fest, »weil sie versucht hatten, sich im kommunistischen Sinne zu betätigen« wie es in der Lokalpresse heißt.
Im Januar beginnt – nach 1933 – die zweite antisemitische Welle. In der Lokalpresse gibt es zunächst im Anzeigenteil Warnaufrufe: »Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter!«, dann konzentrieren sich die Maßnahmen auf die Segregation. Im Juli verkündet die Lokalpresse Eschweiler Beobachter unter der Überschrift »Es geht auch ohne Juden«, dass der Nutztiermarkt in Aachen »judenfrei« sei.
Im Juli wird der Jungmännerverein »Mühle« wegen dessen »staatsfeindlicher Einstellung« verboten.
Die Nazis ändern das Allgemeine Deutsche Berggesetz, sodass die Vernichtung ganzer Ortschaften einschließlich der Friedhöfe zugunsten von Großtagebauen möglich wird. Denn die Nazis sind im Rahmen ihrer Kriegsvorbereitung sehr an wirtschaftlicher Autarkie und damit in gesteigertem Maße an der Braunkohle interessiert. Im November 1935 wird mit »Zukunft-West« der erste Großtagebau zwischen Eschweiler und Hehlrath/Kinzweiler aufgeschlossen, in dem dann auch erstmals ein Schaufelradbagger eingesetzt wird. Diesem ersten und noch relativ kleinen Großtagebau fallen bis in die 1980er Jahre hinein insbesondere die Dörfer Erberich, Langendorf, Langweiler, Laurenzberg, Lohn, Lürken, Pattern, Pützlohn und mit der Velau halb Hehlrath zum Opfer. Das Rittergut Hausen aus dem 13. Jahrhundert, zwischen dem Weiler Hausen und Langendorf/Frohnhoven gelegen, wird zwischen 1977 und 1980 nach Aachen-Brand transloziert. Heute noch kommt es zur Vertreibung der Bevölkerung durch das Abbaggern historisch gewachsener Siedlungen.
1936
Die Concordiahütte stellt den Hochofenbetrieb ein.
Ende Februar hat die Polizei noch rund 2.000 Menschen auf ihrer Liste von »Staatsfeinden« in Stadt und Kreis Aachen. Aus Vereinfachungsgründen sollen nur 10 % davon gejagdt werden, darunter 10 Menschen aus Eschweiler und drei aus Weisweiler.
Am 22. März, zwei Wochen nach der deutschen Remilitarisierung des Rheinlands, wird der erste Spatenstich zum Bau der bereits in der Weimarer Republik 1925 geplanten Reichsautobahn Aachen – Köln (heutige BAB 4) im Abschnitt Eschweiler – Weisweiler gesetzt. Bis 1942 wird das Teilstück Verlautenheide bis Düren fertiggestellt. Die Strecke ist erst im Dezember 1960 durchgängig befahrbar. Unabhängig davon fehlt es in der Nazi-Zeit an Autos, und der »Volkswagen«, der dem abhelfen soll, kommt erst nach dem bald einsetzenden Weltkrieg heraus. In Eschweiler wird damit geworben, dass der Bau eine erhebliche Anzahl an Arbeitsplätzen schaffe, unisono reichsweit, nur ist das nicht wahr. Die Autobahnen sind aber technisch hervorragend für den Aufmarsch des damaligen Militärs für den Blitzkrieg beim Überfall auf die Nachbarstaaten Deutschlands geeignet und neben der zivilien Nutzung auch dafür gedacht. Der beabsichtigte spätere Krieg weit außerhalb der eigenen Grenzen lässt 1942 den Weiterbau von Kerpen bis Köln militärstrategisch jedoch als obsolet erscheinen. Die Fertigstellung weniger und anderer Autobahnen gilt dann als opportun.
Die Autobahn hat bis heute als Bundesautobahn 4 insbesondere für die Eschweiler Ortschaft Röhe einschneidende Bedeutung: Sie verläuft durch den historischen Ortskern und teilt das Dorf in Nord- und Süd-Röhe; einzige Verbindung der Dorfhälften ist die Unterführung unter die Autobahn in der historischen Ortsmitte. Auch der historische evangelische Friedhof in Röhe liegt unmittelbar an der Autobahn.
Am 20. April, »Führers« Geburtstag, werden die rund 3.000 Politischen Leiter und Mitarbeiter der NSDAP und den NS-Organisationen im Landkreis Aachen in der Eschweiler Infanterie-Kaserne, die hierbei bereits erwartungsvoll nach dem Nazi-Granden und Kriegsverbrecher »Hermann-Göring-Kaserne« genannt wird, auf den »Führer« vereidigt. Die örtlichen Nazis sind vor allem horizontal, heterarchisch, also in der Breite gut aufgestellt, was für eine Durchwachsung spricht.
1937
Am Kraftwerk in Weisweiler wird ein 168 Meter hoher Schornstein errichtet und im Volksmund »der lange Heinrich« (oder: der lange Hein, wie anderswo in der Region auch für große Fabrikschlote üblich) genannt. Er wird zum Wahrzeichen Weisweilers und überstahlt auch Eschweiler. Derweil wird in Eschweiler-Ost der Neubau der Herz-Jesu-Kirche eingestellt: Die Leistungssteigerung in der Industrie und der Bau des Westwalls haben als Kriegsvorbereitungen unbedingten Vorrang.
Die Polizei errichtet ein »Ehrenmal« für den am 2. Juni 1920 von »farbigen« Besatzungstruppen erschossenen Polizeiwachtmeister Karl Schmitz nahe des Hauptbahnhofs in Eschweiler.
Nach der Lockerung der Aufnahmesperre zur NSDAP (Aufnahmestopp, um Opportunisten auszuschließen, endgültige Aufhebung der Sperre 1939) haben die Nazis in Eschweiler weiterhin so großen Zulauf, dass sie sich statt in drei Ortsgruppen seit 1933, nach der bis 1933 einen, in nunmehr vier Eschweiler Ortsgruppen gliedern. Daneben bestehen weiterhin die Ortsgruppen in Kinzweiler, Dürwiß und Weisweiler, Gebiete die noch nicht eingemeindet sind.
1938
Im Tagebau »Zukunft-West« wird im Februar die erste Kohle gefördert.
Am 10. April lässt das Nazi-Regime über den – zurückliegenden – »Anschluss« Österreichs an das »Altreich« abstimmen, und feiert sich damit selbst. In Eschweiler machen vorab SS und SA ›Wahlkampf‹.
Ende Oktober findet die »Polenaktion«, eine kurzfristig durchgeführte Abschiebung von jüdischen Polen aus dem Deutschen Reich statt. Auch Eschweiler fallen unter die »Polenaktion«. Die Ausweisung erfolgt nicht nur plötzlich und für die Betroffenen völlig überraschend, sondern auch gewaltsam. Herschel Grynszpan, dessen Eltern dazu gehören, verübt daraufhin am 7. November in Paris ein Attentat auf den deutschen Botschaftsmitarbeiter Ernst vom Rath. Dies gibt den Nazis Anlass für die Novemberpogrome.
In der Nacht auf den 10. November geschieht auch in Eschweiler der Pogrom an Juden, der zynisch als »Reichskristallnacht« in die Geschichte eingegangen ist: In der Schützenhalle wird die Gedenkfeier zu dem dilettantischen Hitler-Ludendorff-Putsch vom 9. November 1923 »gut besucht« und bringt die Antisemiten, die sich längst nicht nur in der Nazi-Partei versammelt haben, in Stimmung. Anschließend wird die Synagoge in der Moltkestraße von vier Nazis in Brand gesetzt: Der Zugang wird erzwungen, es werden Strohballen in das Gotteshaus geworfen, mit Benzin überschüttet und angesteckt. Im Zusammenhang mit den vier Tätern wird einer der beiden SA-Obersturmbannführer aus Eschweiler genannt. Die Synagoge in Weisweiler wird ›lediglich‹ geplündert, weil dort Anbauten »Deutscher« bestehen, die ansonsten mit in Brand geraten könnten. Während die Synagoge in Eschweiler brennt, schänden Eschweiler SA-Männer die Gewänder des Rabbiners, in Weisweiler wird der Rabbiner vom dortigen NSDAP-Ortsgruppenleiter (bis 1941, danach in Insbruck) und Bürgermeister Heinrich Löltgen schikaniert. Die Feuerwehr (Feuerschutzpolizei) greift nicht ein, und die Polizei, die einige Jahre zuvor auf hungernde Arbeiter geschossen hat, sieht weg. Auch als Eschweiler Schläger von SS und SA die Schaufenster der jüdischen Geschäfte einschlagen und die Innenräume demolieren. Es kommt zu – nach Zeitzeugen beiläufigen – Plünderungen. Am Morgen des 10. November sind die Straßen mit Glasscherben übersät, am Nachmittag marschieren radikale Antisemiten in der Stadt und verbrennen auf dem Marktplatz symbolisch für »den Juden« eine Strohpuppe. Die Polizei, die sich seit der »nationalen Erhebung« mit Rückblick auf ihre Gewalttätigkeiten als »dein Freund und Helfer« während der Notlagen in der Weimarer Zeit nun als »Helfer in sozialer Not« bezeichnet, nimmt vielmehr wohlhabende Juden in ›Schutzhaft‹, darunter den Metzgermeister Leo Stiel aus der Judenstraße, die seit 1933 »Horst-Wessel-Straße« heißt. Während ihm später noch die Flucht gelingt, wird seine Tochter in Auschwitz von der Polizei ermordet werden.
Mit dem Progrom beginnt die »Arisierung« in Deutschland, der Raub jüdischen Vermögens, mit dem der Staat versucht, seine durch die Hochrüstung zerrütteten Finanzen zu sanieren, und mit dem man sich auch privat und nicht zuletzt durch Korruption bereichert. Die Metzgerei Stiel fällt schließlich auch der »Arisierung« zum Opfer: Das nunmehr »entjudete« Geschäftslokal wird vom Schuhhaus Vöcking übernommen.
Ein Jahr später, 1939, erhebt Hitler den 9. November als »Gedenktag der Bewegung« zum Staatsfeiertag; 70 Jahre später, 2008, wird die Stadt Eschweiler des Progroms von 1938 gedenken.
Am 30. November zieht das 1. Ersatz-Bataillon des Infanterieregiments 78 der Wehrmacht nach einem von SA und Polizei angeführten Marsch durch die Stadt mit Parade vor dem Rathaus und einer Feier auf dem Eschweiler Marktplatz in die Kaserne (»Hermann-Göring-Kaserne«) ein. Bürgermeister Kalvelage dankt dem »Führer«, dass dieser »Eschweiler wieder die Garnison schenkte«, bekennt sich »in treuer Verbundenheit und Liebe zum Soldatentum«, und in seiner Rede um 11 Uhr auf dem Marktplatz erklärt er, dass die Bevölkerung voll Sehnsucht diesen Tag herbeigesehnt habe, wobei er gewiss sei, dass diese getreu der alten Tradition ein herzliches Einvernehmen mit dem Militär finden werde. Für die Nazis spricht anschließend Kreisleiter Schubert, die Eschweiler Ortsgruppenleiter Kuiff, Dr. Henckel, Wolff und Hansen sind anwesend. Für das Militär sprechen Regimentskommandeur Oberst Lütkenhaus und anschließend Bataillonskommandeur Major Böhm Dank an die Eschweiler Bevölkerung aus. Ehrengäste der Veranstaltung sind der Regierungspräsident, der Landrat, Vertreter des Kriegervereins und Vertreter von Industrie, Handwerk und Handel. Nach dem Einmarsch in die Kaserne findet ein Imbiss in der Schützenhalle statt, wo Bürgermeister Kalvelage sein Glas auf den »Führer« erhebt. Am Abend gibt es einen »Kameradschaftsabend« in den Gaststätten der Stadt. Wenige Tage später aber steht die Kaserne schon wieder überwiegend leer: Die Dienstpflichtigen sind entlassen worden. Von 1919 bis 1929, während der Besatzung des Rheinlands durch die West-Alliierten des Ersten Weltkriegs, hatte die Kaserne diesen gedient, seit 1932 als Berufsschule, Jugendherberge und Obdach der »Hitler-Jugend«. Auch die Polizeiausbildungsstelle der SA (Hilfspolizei für den Kreis Aachen-Land) war in der Kaserne untergebracht gewesen, und dann lebten wegen der Wohnungsnot bis zum Wiedereinzug des Militärs noch 80 Familien dort.
1939
Am 7. Januar ziehen Rekruten aus der von Deutschland annektierten »Ostmark« (Österreich) in die Kaserne (»Hermann-Göring-Kaserne«) ein, am Ende des Monats solche aus der Region.
Die von der »Deutschen Arbeitsfront« (DAF) errichteten 101 Wohnungen am Jägerspfad stehen im Rohbau. Derweil sollen in der Rheinprovinz selbst laut Nazi-Presse immer noch wenigstens 259.000 Wohnungen für rund mehr als 1 Million Menschen fehlen. Der Wohnungsbau soll jedoch erst nach Herstellung der »Wehr- und Wirtschaftsfreiheit« des Reichs im notwendigen Maße aufgenommen oder fertiggestellt werden.
Am 18. Januar findet in der Schützenhalle die »beamtenpolitische Großkundgebung des Kreises Aachen-Land« statt.
Die Filmgaustelle führt am 19. Januar im Primus-Palast »Juden ohne Maske« und »Stärker als Paragraphen« auf, antisemitische Hetzfilme. Gezeigt werden aber auch, und auch noch im Krieg, freilich heldenhafte, draufgängerische, Hollywood-Filme; die Hollywood-Industrie hat einen lukrativen Pakt mit den Nazis und stellt moralische Bedenken hinter wirtschaftliche Interessen zurück.
Ideologisch verbrämt fusionieren Eschweiler Sportvereine in der »Eschweiler Sportgemeinschaft« (ESG) in den Stadtfarben Blau/Gelb.
Am 1. September überfällt Deutschland Polen und beginnt auch den Zweiten Weltkrieg, in dem dann rund 55 Millionen Menschen, nach den 11 Millionen des Ersten Weltkriegs, umgebracht werden. In der Kaserne liegt seit 1939 das Ergänzungs-/Ersatz- bzw. Ausbildungsbatallion 464 und im weiteren Kriegsverlauf als Fronttruppe das Infanterie-Regiment 78 der in der zweiten Welle aufgestellten 253. Infanteriedivision. Hier erhalten die Eschweiler, die zum Krieg eingezogen werden, ihre Grundausbildung; seit 1944 sind dies auch männliche Jugendliche, die ab dem Alter von 17 Jahren sowohl freiwillig an die Front gehen als auch dazu gezwungen werden.
Am 10. September wird der Ausweiszwang für jeden über 15 Jahre erlassen.
1940
Schließung der Concordiahütte.
Das Unheil, das von Deutschland losgetreten worden ist, fällt von nun an auf Deutschland zurück, und am Ende wollen die Alliierten nicht die Deutschen vom Nazismus befreien, sondern die Welt von Deutschland: Am 12. Mai fallen in Eschweiler erstmals Bomben. Am Patternhof gibt es zwei Tote und einen Verletzten. Der Bombenkrieg mit Flächenangriffen und damit das Schicksal der deutschen Großstädte im Luftkrieg wird Eschweiler aber zunächst noch erspart. Erst 1944 wird die Stadt primäres Angriffsziel.1941
Per 6. Januar wird der Ladenschluss im Regierungsbezirk Aachen im Verordnungswege auf 18 Uhr festgelegt, Lebensmittel können freilich auch noch bis 19 Uhr gekauft werden.
Im Februar werden in Eschweiler Feierlichkeiten zum »Tag der deutschen Polizei«, den »Helfern in sozialer Not« begangen. Polizei, Feuerwehr und Nazi-Gruppen marschieren gemeinsam durch Eschweiler. Dann ermordet die deutsche Ordnungspolizei in den »Einsatzgruppen« in Osteuropa Juden.
Im März verhandelt erstmals das am Landgericht Aachen eingerichtete Sondergericht für politische Sachen und Strafsachen unter Ausnutzung der Kriegslage, Rechtsmittel gegen dessen Sprüche sind nicht gegeben. Gerhard Marx ist Staatsanwalt an diesem Sondergericht und setzt seine Karriere in der Justiz nach dem Krieg als Amtsgerichtsdirektor in Eschweiler fort.
Die Siedlung Jägerspfad wird durch die Nazi-Organisation »Deutsche Arbeitsfront« (DAF) fertiggestellt.
Im Juni beteiligt sich die Lokalpresse bisher ungewöhnlich aktiv an einer weiteren antisemitischen Welle, welche die im September auch in Eschweiler erfolgte Kennzeichnung der – dort indes recht wenigen – Juden mit dem gelben Stern vorbereitet. Die Nazi-Propaganda im Eschweiler Beobachter verknüpft dabei eine Erinnerung an die 1939 verordnete allgemeine Ausweispflicht. Zudem ist die Rede von Berichten Eschweiler Frontsoldaten über angebliche von Juden begangene Gräuel im Osten, und darüber, dass »die Viehställe bei uns sauberer sind als hier [in der Sowjetunion, HvL] die Wohnungen«. Zugleich macht der Eschweiler Beobachter mit einem Artikel über die neue Spielzeit im Aachener Theater auf, und dass »das Recht auf den Kunstgenuss der Nationalsozialismus jedem deutschen Volksgenossen sichergestellt« habe. Im Januar 2010 schließlich werden dem Amtsgericht in Eschweiler anonym 50 Fotos zugesteckt, die deutsche Kriegsverbrechen, wahrscheinlich 1941 in der Sowjetunion begangen, zeigen. Die Fotos seien bereits vor 50 Jahren anlässlich einer Wohnungsrenovierung am Eschweiler Marktplatz gefunden worden, schreibt der Einreicher. Es wird jedoch vermutet, dass sich hier ein Erbe einer Last aus Eschweiler entledigt hat.
Am 26. September weist das Amtsblatt der Stadt groß mit Foto und ätzender Hetze gegen Juden auf die Kennzeichnungspflicht hin, um dem »bezeichnenden Wesen der Juden […] sich zu tarnen« angesichts der »widerwärtigen Grausamkeiten im Osten« und den zu »jeder persönlichen Scheußlichkeit fähigen« Juden »entgegenzuwirken«. Der Eschweiler Beobachter bemüht sich um Akzeptanz und bringt parallel einen relativierenden Bericht über das Hakenkreuz als »Zeichen Jahrtausende alten germanischen Volkstums und nationalsozialistischer Volksgemeinschaft« und die Verteilung von derselben Blechansteckern durch das Kriegs-Winterhilfswerk, und der katholische Bote an der Inde zieht nach. In Aachen bestehen indes »Judenhäuser«, in denen Juden gettoähnlich eingepfercht werden, und Eschweiler Juden müssen seit dem Sommer in Sammellager umziehen, zwei davon bestehen in Pumpe-Stich: auf dem Gelände des heutigen Waldfriedhofs und an der Kreuzung Stolberger Straße/Alte Rodung. Einige von ihnen müssen Zwangsarbeit in Stolberg leisten. Jüdische Friedhöfe werden geschändet. Im Oktober folgt die (vorgezogene) Entscheidung zur Deportation. Konkreter Hintergrund ist, dass der Krieg im Osten nicht planmäßig verläuft. Aufhänger ist die Umsiedlung der Wolga-Deutschen als auch um noch verbliebenen jüdischen Wohnraum im Hinblick auf den Luftkrieg in Besitz zu nehmen. Auch aus der Auslandsberichterstattung der in Eschweiler erscheinenden Presse wird spätestens jetzt deutlich, dass Deportationen von Juden in deren Vernichtung führen; Hitler hat dies bereits am 30. Januar 1939 in seiner Rede vor dem Reichtag angekündigt.
Es bestehen nunmehr auch zehn Lager für insgesamt mehr als 5.000 Kriegsgefangene. In der Lokalpresse wird vor Tischgemeinschaften mit Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern, die den »vertierten Rassen« angehörten wie etwa Polen, eindrücklich gewarnt. Der polnische Zwangsarbeiter Johann Zdum wird vom Dürwißer Ortspolizisten Leopold Romeike wegen »Rassenschande« verhaftet. Ihm wird eine Affäre mit einer »arischen« Frau aus Dürwiß vorgeworfen. Am 20. März 1942 wird er in Dürwiß an einem transportablen Galgen öffentlich gehenkt.
1942
Im Frühjahr beginnt die Deportation der Juden. 52 deportierte Personen aus Eschweiler sind bis heute bekannt geworden, anderen gelang die Flucht. Die Nazis bemäkeln bereits 1934, dass die Volkszählung von 1933 nur die 107 religiös bekennenden Juden in Eschweiler (1926: 166) erfasst habe, sodass die Zahl derer, die in Eschweiler »rassisch« als Juden verfolgt werden, höher liegt als die aus der Volkszählung. Parallel zur Deportation erreicht die Hetze gegen Juden insbesondere im Eschweiler Beobachter einen Höhepunkt.
Curt Englaender, gottgläubiger Antisemit, Nazi und Rechtsanwalt aus Eschweiler, wird im April Stadthauptmann in Lublin im besetzten Polen. Er ist dort zumindest an der Selektion polnischer Juden beteiligt. Nach dem Krieg wird er Präsident des Oberverwaltungsgerichts in Mainz werden.
Im Juni bewerben Presse und Gaufilmstelle in Eschweiler die »Euthanasie«-Morde in Deutschland. Der Film »Ich klage an« wird in Stich und in Hehlrath gezeigt. Zur selben Zeit halten sich die Nazis reichsweit mit der Bewerbung der Morde indes zurück und das »Euthanasie«-Programm ist offiziell bereits gestoppt, wird insgeheim aber fortgesetzt. Aus Eschweiler ist der Mord an Petronella Büttgen geb. Schiffeler bekannt geworden. Infolge eines Unfalls litt Petronella Büttgen an spontan auftretenden Krampfanfällen. Ihre Ehe wurde deswegen geschieden und sie zunächst nach Düren eingewiesen. Schließlich starb sie an einer ärztlich verordneten »Hungerkur« in der Anstalt in Kaufbeuren, nicht ohne zuvor in der Rüstungswirtschaft zwangsgearbeitet zu haben.
1943
Eine Luftmine zerstört die Ostseite des Markts und Teile der Kirche mitsamt der St. Michaels-Statue.
Die Lokalpresse kommt dem Normalschrift-Erlass Hitlers von 1942 nach: Der katholische Bote an der Inde bereits zum 30. August, derweil das Nazi-Blatt selbst, der Westdeutsche Beobachter (Ausgabe Eschweiler mit Eschweiler Beobachter) sich Zeit bis zum Dezember 1943 lässt.1944
Am 24. Januar greifen 58 Bomber Eschweiler zur Vorbereitung der Bodenoffensive der Alliierten an. Es gibt vermutlich 567 Tote.
Im August erfolgt die »Aktion Gewitter«, eine Verhaftungswelle im Zuge der Widerstandsbewegung vom 20. Juli. Der Bergmann und frühere Gewerkschafts-Sekretär Kurt Georg Dietz wird in das KZ Sachsenhausen eingeliefert und kommt wahrscheinlich auf einem Todesmarsch um.
Im September 1944 wird Eschweiler Frontstadt und die Bevölkerung der Stadt von den deutschen Behörden evakuiert – großteils: z.B. die Bettlägrigen des Kreispflegehauses müssen selbst für ihren Schutz sorgen und auch einige Hundert andere Eschweiler, darunter Dienstverpflichtete in Bergbau und Industrie sowie 53 Personen des Krankenhaus-Personals bleiben in der Stadt, so mancher Eschweiler auch »schwarz«.
Es gründen sich sog. Werwölfe, Nazi-Freischärler, die gegen vermeintliche Kollaborateure brutal vorgehen.
Das Kraftwerk in Weisweiler wird zunächst weiterhin gefahren, um Strom zur Verlängerung des verlorenen Krieges zu fördern. In Hehlrath fängt das Kohleflöz durch die schweren Angriffe der Alliierten jedoch Feuer und brennt bis August 1945.
Im Oktober endet die Geschichte der Steinkohleförderung in Eschweiler: Durch kriegsbedingten Stromausfall am 28. September säuft die Grube Reserve binnen weniger Tage ab. Nach dem Krieg wird der Eschweiler Bergwerks-Verein (EBV) beschließen, die Förderung nicht wieder aufzunehmen. Anfang der 1960er Jahre wird die Deutsche Fibercast, ein Tochterunternehmen des EBV, auf dem Werksgelände einziehen.
Am 22. November ist der Krieg in Eschweiler zu Ende: amerikanische Truppen besetzen die Stadt. Eschweiler ist teils zu über 60 % zerstört. Wohl kreisen noch Gerüchte über Werwolf-Aktionen der Deutschen gegen Kollaborateure im besetzten westlichen Reichsgebiet, in Aachen wird der Oberbürgermeister von Nazis ermordet, die Kampfhandlungen dort sind indes schon beendet. Ein Eschweiler Rechtsanwalt wird später eine des Mordes Angeklagte verteidigen und dazu den »Befehlsnotstand« berufen.
Am 23. November setzen die Amerikaner Johann Dell zum Bürgermeister von Eschweiler ein, am 1. Dezember Klaus Mirbach. An der Ausweichstelle der von den Deutschen evakuierten Stadtverwaltung amtiert indes noch bis zum 25. März 1945 der Nazi Otto Pieperbeck als Bürgermeister, zugleich Direktor des Versicherungsamtes der Stadt Köln. In der Nachkriegszeit wird er seine Karriere als Verwaltungsbeamter nahtlos bis zu seiner Pensionierung fortsetzen.
Am 3. Dezember veranlassen die Amerikaner die weitergehende Räumung Eschweilers. Betroffen sind 500 Einwohner. Da die Amerikaner auch das Antonius-Hospital beschlagnahmen, verlegt das Krankenhauspersonal in das beschädigte Kreispflegehaus.
1945
Am 8. Mai 1945 kapituliert die deutsche Reichsregierung unter dem später als Kriegsverbrecher verurteilten Großadmiral Karl Dönitz. Die britische Militärregierung übernimmt Eschweiler.
Neben den Kriegstoten gelten weitere 562 Soldaten aus Eschweiler als vermisst. Auch so einige Eschweiler Hitlerjungen sind von ihrer Ideologie und deren Todesverherrlichung ereilt worden, z.B.: der »Gebietsführer« der HJ in der Region, Heinz Hohoff, kam beim freiwilligem Kriegseinsatz in Stalingrad um, der »Gefolgschaftsführer«, welcher 1940 der erste Eschweiler Hitlerjunge war, der den Segelflugschein erworben hatte, starb 1943 bei einem Flugzeugabsturz auf dem Militärflugplatz Rosenborn, der »Kameradschaftsführer« Eschweiler-Mitte »opferte« sich 1944 in Tarnopol gleich zu Anfang des auch militärisch sinnlosen Festungskampfs.
Am 13. Juli setzen die Briten Hermann Zurhorst und am 18. Oktober Franz van Eys zum Bürgermeister ein.
Zeitgeschichte 1946 bis 1999
1946
Die Belgier errichten das Camp Eschweiler im Stadtwald für die Logistik des 1. Belgischen Armeekorps. Später wird es in Camp Zeebrugge umbenannt. Zwischen Eschweiler und Hehlrath im Tagebau »Zukunft« wird der Kohleabbau wieder aufgenommen. Die Eschweiler beginnen mit dem Wiederaufbau der Stadt. Die Straßenbahn-Linie 22 von Pumpe nach Velau wird wieder in Betrieb genommen.
Administrativ gehört Eschweiler zum neu gebildeten Land Nordrhein-Westfalen in der Britischen Besatzungszone. Am 7. April beruft die Militärverwaltung den Stadtrat von Eschweiler, wobei die konfessionsübergreifend auftretende CDU die ehemalige Bedeutung der Zentrumspartei einimmt: CDU 14 Sitze, SPD 9 Sitze, KPD 6 Sitze, Parteilose 2 Sitze. Am 15. September wird der erste Stadtrat seit der Nazi-Zeit gewählt: CDU 49,4 %; SPD 36,4 %; KPD 14,2 %. Nach britischer Maßgabe gibt es von nun an bis 1997 die »Doppelspitze« im Rathaus: Der beamtete Stadtdirektor ist Chef der Verwaltung, der ehrenamtliche Bürgermeister aus den Reihen der ehrenamtlichen Ratsmitglieder ist Vorsitzender des Rates, der die Verwaltung kontrollieren soll, und Repräsentant der Gemeinde. Der Rat wählt Peter Herzog (CDU) zum Bürgermeister.1947
Die ersten belgischen Soldaten rücken in das Camp Eschweiler ein.
Am 1. Juli werden die Arbeiten am Kraftwerk Weisweiler wieder aufgenommen.1948
Mit dem Camp Astrid, offiziell Quartier Reine Astrid, errichten die Belgier im Probsteier Wald ihre zweite Kaserne in Eschweiler. Die Deutschen führen mit der Währungsreform am 20. April die D-Mark (Deutsche Mark) ein.
Am 1. Februar wird Bernhard Sperlich, späterer Vorsitzender des Eschweiler Geschichtsvereins, Stadtdirektor (bis 30. Nov. 1970). Bei der Kommunalwahl am 17. Oktober wird die SPD in Eschweiler stärkste Partei. Sie erhält 43,7 % der abgegebenen gültigen Wählerstimmen. Es folgen CDU (37,4 %), KPD (10,3 %) und Zentrumspartei (8,6 %), die nach dem Zweiten Weltkrieg und mit Gründung der CDU ihre Wähler und Bedeutung überwiegend an die CDU verloren hat. Der Rat wählt Matthias Bücken (SPD) zum ehrenamtlichen Bürgermeister.1949Gründung der Bundesrepublik Deutschland.1950
Der ehemalige NSDAP-Ortsgruppenleiter und Bürgermeister in Weisweiler, Heinrich Löltgen, wird wegen seiner Rolle im Weisweiler Juden-Progrom 1938 zu 1½ Jahren Gefängnis verurteilt.
Die »Tram« Linie 18 von Eschweiler über Gressenich nach Vicht wird wiedereröffnet. Bereits 1951 wird der Betreiber, die ASEAG, beginnen, das Straßenbahnnetz durch Buslinien zu ersetzen.9. Nov. 1952Aus der Kommunalwahl gehen SPD und CDU gestärkt mit 46 % bzw. 40,6 % hervor. KPD und Zentrumspartei mit 5,8 % bzw. 5,4 % sind die Verlierer der Wahl. Der Rat wählt Wilhelm Gruhn (SPD) zum Bürgermeister.1953Die Drahtfabrik, die seit 1822 in Eschweiler produziert hat, stellt den Betrieb in Eschweiler ein und verlegt nach Köln-Mühlheim.1955
Die neue Bundesrepublik erhält eine Teilsouveränität und der deutsche Uranverein aus Industrie, Verwaltung und Forschung nimmt nun auch offiziell die Arbeit am Atomprogamm der Bundesregierung auf und knüpft an die Forschung und die Erprobung von Uranmaschinen und Kernwaffen aus der Nazizeit an. Die Regierung Adenauer denkt laut über eine Bewaffnung Deutschlands mit Atombomben nach. Aus der belgischen Besatzungsmacht in Eschweiler wird nun per decretum eine Schutzmacht und am 5. Mai 1955 wird die Bundeswehr gegründet. In der Bevölkerung formt sich die Widerstandsbewegung »Gegen den Atomtod« und Widerstand gegen die Wiederbewaffnung mit der Bundeswehr.
Im Braunkohlenkraftwerk Weisweiler werden die heute nicht mehr betriebenen Blöcke A, B, und C mit zusammen 305 MW Nettoleistung in Betrieb genommen.1956
Nachdem die Stadt das Gelände der Drahtfabrik für rund 400.000 DM gekauft hat, beginnen die Abbrucharbeiten der Fabrikhallen.
Die Stadt räumt den geschändeten jüdischen Friedhof an der Talstraße ab, um dem Gusswerk Jussen eine Erweiterung zu ermöglichen, und missachtet die Bedeutung jüdischer Friedhöfe als Orte der dauerhaften Bestattung.
Die KPD, die ihre Zielrichtungen an den »verfassungsgemäßen Rechten und Freiheiten« ausgerichtet hat, wird erneut nach 1933 verboten. Am 17. August ergeht das Verbotsurteil gegen die Partei auf Antrag der Regierung Adenauer aus dem Jahr 1951. In Eschweiler und Kinzweiler kommt es zu Hausdurchsuchungen durch den Verfassungsschutz im Zuge der Durchsetzung des Parteiverbots.
Bei der Kommunalwahl am 28. Oktober verbessert die SPD somit ihr Stimmenergebnis auf 50,4 %. Die CDU erreicht 40,3 %. Die Zentrumspartei spielt keine Rolle mehr, es zieht nun aber die Freie Demokratische Partei (FDP) mit 7,1 % und 2 Sitzen in den Stadtrat ein. Teile der FDP der Adenauerära stehen politisch rechts von der CSU und sprechen national orientiert Klientel des Dritten Reichs an. Nazis und Kriegsverbrecher suchen hier Zuflucht und Schutz. Der Rat wählt erneut Wilhelm Gruhn (SPD) zum Bürgermeister.
Am 20. Dezember rücken deutsche Soldaten in das belgische Camp Zeebrugge im Stadtwald am Donnerberg ein.1957Der Eschweiler Bergwerks-Verein EBV errichtet auf dem Gelände der stillgelegten Concordiahütte ein Elektrostahlwerk.1958Die Bundeswehr übernimmt von den Belgiern das Camp Zeebrugge als Lager Donnerberg. Stationiert ist die Heeres-Artillerie-Schule. Es wird eine Buslinie eigens für Rekruten eingerichtet. Eschweiler ist wieder deutsche Garnisonsstadt und bleibt es bis heute.1960Der Bau der Indestraße beginnt: Die historisch gewachsene Altstadt an der Inde und die historische Neustadt sollen dem Autoverkehr unterworfen werden. Es beginnt die sogenannte Stadtsanierung, in deren Verlauf rund 220 Häuser der Altstadt, das historische Oberdorf an der Mühlenstraße, diese selbst, Knickertsberg, Bach- und Judenstraße der Abrissbirne komplett zum Opfer fallen und die Inde in ein neues Betonbett verlegt wird. Eschweiler verliert seinen historischen Grundriss, der Bezug der Stadt zur Inde geht verloren und es entstehen im Hinblick auf die verbliebene Restbebauung unverhältnismäßige, sich nicht einfügende Großstrukturen.
Eine über die Talstraße mit ganz erheblich weniger Substanzverlust verlaufende alternative Trasse zu der durch die Altstadt geschlagenen und damit zu deren Untergang führenden Schneise wird nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Partikularinteressen heraus verworfen. 1961
Die Rheinische Lederfabrik stellt die Produktion ein
In der Innenstadt wird mit dem Bau der Inderegulierung begonnen.
Bei der Kommunalwahl am 19. März fällt die SPD auf 42,1 % zurück, die CDU wird mit 51,4 % stärkste Kraft im Eschweiler Stadtrat und wird diese Position erst 1972 mit den ersten Wahlen nach der kommunalen Neugliederung wieder an die SPD abgeben, woran sich bis 2014 nichts ändern wird. Die FDP wird mit 6.6 % letzmalig bis zur Wahl 1999 (2,84 %) in den Stadtrat gewählt. Der Rat wählt Wilhelm Gourissen (CDU) zum Bürgermeister.
1964
Am Donnerberg wird die Raketenschule der Bundeswehr gegründet.
Am 19. März eröffnet der Bushof, der auf dem östlichen Gelände der 1953 nach Köln verlegten Drahtfabrik errichtet worden ist.
Bei den Wahlen am 27. September zum Stadtrat in Eschweiler kommt die CDU auf 47,9 % und erhält 19 Sitze, die SPD erreicht 47,3 % und erhält 18 Sitze. Die FDP wird nicht wieder in den Rat gewählt.1965
Am 10. Januar führt die Inde Hochwasser.
In Weisweiler wird Block E mit 312 MW Nettoleistung in Betrieb genommen. 1967 wird Block F mit 304 MW und 1974, 1975 werden die Blöcke G und H mit je 634 MW Nettoleistung folgen. Diese letzten vier der ursprünglich acht Blöcke sind heute (2017) weiterhin in Betrieb.1966
Im April werden die Straßenbauarbeiten im ersten Bauabschnitt zur Indestraße im Zuge der sogenannten Stadtsanierung werden aufgenommen. Die neue Indestraße wird Mühlenstraße, Knickertsberg, Judenstraße, Bachstraße und Schützenstraße ersetzen. Die Bauarbeiten werden am 29. September 1980 beendet sein.
Am 10. Dezember führt die Inde nach anhaltend starken Regenfällen und einem Regelfehler an der Dreilägerbachtalsperre Hochwasser und erreicht einen Pegel von 2,43 m. Gegen 18 Uhr wird Katastrophenalarm gegeben und das Technische Hilfswerk Eschweiler rückt erstmals zu einem Katastropheneinsatz aus. Es verhindert ein Absaufen der Altstadt und sichert die Brücken über die Inde. Am 11. Dezember mittags wird der Alarm aufgehoben.
1969
Als Konsequenz einer seit 1945 fehlgeleiteten Verkehrspolitik werden am 6. Oktober mit den Linien 22 Erlendorf – Eschweiler und 28 Alsdorf – Eschweiler die letzten Überlandlinien der Straßenbahn im Landkreis Aachen stillgelegt und die »Tram« in Eschweiler existiert nicht mehr. In der Zukunft wird sich dies als weitere Fehlentscheidung in der Verkehrspolitik erweisen, da das die Straßenbahn ersetzen sollende Netz der Buslinien dem wachsenden Autoverkehr nicht gewachsen sein wird.
Die Kommunalwahl am 9. November bestätigt die bisherigen Verhältnisse im Eschweiler Stadtrat: CDU 49,7 % und 21 Sitze, SPD 47,1 % und 20 Sitze. Wilhelm Gourissen (CDU) wird vom Stadtrat zum ehrenamtlichen Bürgermeister wiedergewählt.1970Paul Büchel, seit 1966 Erster Beigeordneter der Stadt Eschweiler, wird vom Rat als Nachfolger von Bernhard Sperlich und damit zum zweiten Stadtdirektor (1970 – 1978) von Eschweiler bestimmt. 1978 wird er auf Vorschlag der CDU Bürgermeister in Neu-Isenburg (1978 – 1990).1971RWE muss den Standort Weisweiler neben dem Braunkohlekraftwerk für den in Bensberg von Interatom entwickelten Brüter SNR 300 mit Plutoniumkreislauf aufgeben. Der Bundesregierung erscheint nach geheimer Beratung dieser Standort für ein Kernkraftwerk nun doch eher ungeeignet. Denn wegen kalkulierter Störfälle wird aufgrund der Bevölkerungsdichte im Aachener Raum mit etwa 15.000 Einwohnern/qKM mit einem schwerer zu vermittelnden Risiko gerechnet. RWE soll daher auf das mit rund 5.000 Einwohner/qKM dünner besiedelte Kalkar am Niederrhein umplanen.1972
Am 1. Januar wird die kommunale Neugliederung im Aachener Raum durchgesetzt. Das Amt Dürwiß mit den Orten Dürwiß, Fronhoven, Lohn, Neu-Lohn, Pützlohn, Langendorf, Erberich und Gut Hausen, die Gemeinde Kinzweiler mit den Orten Kinzweiler, Hehlrath und St. Jöris und die Gemeinde Weisweiler mit Hücheln werden nach Eschweiler eingemeindet. Die Stadt hat jetzt 55.497 Einwohner.
Bei den Stadtratswahlen am 23. April im nunmehr erweiterten Gemeindegebiet erzielt die SPD 49,8 %, die CDU 46,2 %. Der Rat wählt Friedrich Koch (SPD) zum Bürgermeister.
Die Judenstraße wird im Zuge der sogenannten Stadtsanierung für den Autoverkehr abgerissen.1973Am 22. Juni richtet die noch auf Veranlassung der Nazis fusionierte Eschweiler Sportgemeinschaft (ESG) im Eschweiler Waldstadion ihr Leichtathletik-Sportfest aus. Im Nachhinein wird dies als das beste deutsche Sportfest zwischen 1970 und 2002 bewertet. Erst 1970 war dem Leichtathletik-Sportfest der ESG bundesweit Beachtung und Anerkennung zuteil geworden. Doch schon am 4. Juli 1975 wird die international hochkarätig belegte Veranstaltung letztmalig stattfinden.1974
Neugründung des Eschweiler Geschichtsvereins e.V. am 29. April.
Am 16. November wird die erste Fußgängerzone Eschweilers und damit die erste im Kreis Aachen eröffnet.
Die Raketenschule der Bundeswehr wird nach Geilenkirchen verlegt.1975
Überreichung der Partnerschaftsurkunde an die französische Stadt Wattrelos am 15. März.
Am 25. März wird in Weisweiler das RWE-Braunkohlekraftwerk II (Blöcke A – D) stillgelegt und Kraftwerk I (Blöcke E – G) mit Block H ausgebaut. Das Kraftwerk verfügt von nun an über eine Nettoleistung von rund 1.884 MW, verbrennt jährlich zwischen 20 und 25 Millionen Tonnen Braunkohle und stößt dabei etliche Millionen Tonnen Schadstoffe aus, davon alleine jährlich rund 20 Millionen Tonnen CO2.
Als Ergebnis der Stadtratswahl am 4. Mai kann die SPD ihre Mehrheit von 23 Sitzen gegenüber 22 für die CDU auf 28 Sitze im Stadtrat ausbauen. Die SPD erhält 53,4 % der Stimmen, die CDU kommt auf 42,7 %. Andere Parteien sind im Rat weiterhin nicht vertreten.1977
Die Inde wird im Bereich des heutigen Rathauses verlegt, die Bachstraße geht unter.
Am 1. Oktober wird das St.-Antonius-Hospital Akademisches Lehrkrankenhaus der RWTH Aachen.1978
Das Bundeswehrlager Donnerberg wird am 2. Juni in »Donnerberg-Kaserne« umbenannt. Stationiert ist seit 1972 die Schule Technische Truppe I.
Der »Lange Heinrich«, der 168 Meter hohe Schornstein am Kraftwerk in Weisweiler, welcher seit 1937 das Wahrzeichen der Gemeinde Weisweiler gewesen ist und dann auch das Stadtbild Eschweilers geprägt hat, wird am 28. Juni gesprengt.
Im September wird mit einer Festwoche die 1150-Jahrfeier von Eschweiler begangen.
Am 15. November wird Claus-Dieter Härchen (SPD) als dritter Stadtdirektor von Eschweiler (1978 – 1997) auf eine zunächst 12jährige Amtszeit vereidigt und 1990 erneut bestellt.1979
Bezug des neuen Rathauses der Stadt Eschweiler am 2. August.
Bei der Kommunalwahl am 30. September verbessert die SPD ihr Stimmergebnis gegenüber 1975 auf 55 % und nimmt der CDU einen weiteren Sitz im Stadtrat ab.
Am 5. Dezember erfolgt der Abschluss der Inderegulierung in der Innenstadt. Die Fertigstellung des Ausbaues der Inde nach 18 Jahren hat rund 9 Millionen DM gekostet.30. Sept. 1980Offizielle Verkehrsübergabe der Indestraße (B 264; vormals: Mühlenstraße, Knickertsberg, Judenstraße, Bachstraße und Nordseite Uferstraße) durch den NRW-Verkehrsminister Prof. Joachimsen (SPD). Die reinen Baukosten betrugen rund 10 Millionen DM.1983
Im April Stadtfest anlässlich des 125-jährigen Stadtjubiläums.
Am 22. Mai wird der Personenverkehr auf der Bahnstrecke Jülich-Eschweiler-Stolberg eingestellt.1984
Der Eschweiler Bergwerks-Verein (EBV) überträgt seine Hüttenbetriebe der Maxhütte, eine Tochtergesellschaft der Klöckner-Werke AG, übernimmt gleichzeitig 15% der Anteile an der Maxhütte und sicherte sich damit einen Abnehmer für den EBV-Hochofenkoks aus Alsdorf.
Bei den Stadtratswahlen am 30. September hält die SPD mit geringfügigen Abweichungen ihr Stimmergebnis der vorangegangenen Wahlen und erzielt 54,3 %. Die CDU verliert an Stimmen und erreicht 37,8 %. Mit 5,6 % der abgegebenen gültigen Wählerstimmen werden erstmals Die Grünen in den Rat gewählt und nehmen dort drei Sitze ein. Die Grünen sind 1980 als Partei aus der »Sonstigen politischen Vereinigung (SPV) Die Grünen« entstanden; bundesweit ein Zusammenschluss aus Aktivisten der Ökologie- und Anti-AKW-Bewegung, der Friedensbewegung und von Bürgerrechtlern und mit ursprünglich anarchosyndikalistischen Tendenzen (Basisdemokratie). Ab 1993, nach der für sie verlorenen Bundestagswahl und dem darauf folgenden Zusammenschluss mit der Bürgerrechtsbewegung Bündnis 90 aus der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR), werden sie als Bündnis90/Die Grünen auftreten. Der Rat wählt Erich Berschkeit (SPD) zum ehrenamtlichen Bürgermeister.4. Mai 1985Begründung der Städtepartnerschaft mit der englischen Stadt Reigate & Banstead.1986
Die 1944 zerstörte Haube des Turms zu St. Peter und Paul wird erneuert.
Am 16. Juli wählt der Rat Günter Wagner (SPD) zum Bürgermeister, nachdem Erich Berschkeit (SPD) dieses Amt niedergelegt hat.1987
Nach der amtlichen Volkszählung vom 25. Mai hat Eschweiler 53.058 Einwohner.
Infolge der Insolvenz der Maxhütte gründen der Werksleiter des Röhrenwerks, Lenzen, Dr. Woldt, Gutachter beim Land, ein Spediteur des Röhrenwerkes und der Bürgermeister der Stadt Eschweiler und vormaliger Betriebvorsitzender in den EBV-Hüttenbetrieben, Günter Wagner, die ESW Röhrenwerk GmbH und übernehmen mittels Landesbürgschaft die Röhrenproduktion in Eschweiler. Im Jahre 2001 werden hier noch 317 Mitarbeiter 72.000 Tonnen Rohre herstellen. Das Röhrenwerk ist damit der letzte große Betrieb der Eisen- und Stahlindustrie in dem von der Schwerindustrie nachhaltig geprägten Raum Eschweiler-Stolberg.
Am 3. September wird die Braunkohleförderung auf Eschweiler Gebiet mit Verkippung des Tagebaus »Zukunft-West« beendet. Die Gesamtförderung auf Eschweiler Stadtgebiet hat 530 Millionen Tonnen betragen und diverse Dörfer im Eschweiler Norden untergehen lassen. Vom Masseverlust zeugt ein Restloch, das zu einem Freizeit-See kultiviert werden soll. Die Beendigung der Kohleförderungsindustrie auf Stadtgebiet trifft die Stadt nachhaltig, im Hinblick auf Steuereinnahmen und mehr noch durch die seitdem bei durchschnittlich nicht unter 12 % liegende Arbeitslosigkeit in der Bevölkerung. Ein zur Schwerindustrie alternatives und taugliches Entwicklungskonzept liegt nicht vor. Ausgekohlt werden nun die Nachbargemeinde Inden und der autochthone Hambacher Forst.1989Bei der Kommunalwahl am 1. Oktober verliert die SPD leicht an Stimmen und erzielt 51,7 %. Da die CDU mit 33,9 % aber auch an Stimmen verliert, kann die SPD ihr erneut einen Sitz im Rat abnehmen und hält dort nun 29 Sitze gegenüber 19 für die CDU. Die Grünen erzielen 6,6 % der Stimmen und behalten ihre drei Sitze im Rat. Günter Wagner (SPD) wird zum ehrenamtlichen Bürgermeister wiedergewählt.1990Claus-Dieter Härchen (SPD) wird erneut auf 12 Jahre zum Stadtdirektor von Eschweiler bestellt.
Am 3. Oktober treten die Länder der DDR (Deutschen Demokratischen Republik) der BRD bei.1994
Eschweiler wird Sitz des neu gegründeten Zentralrats der Muslime.
Am 5. Oktober beginnt die Füllung des »Blausteinsees«, des Restlochs im Tagebau »Zukunft-West« beim Ortsteil Dürwiß. Der See wird sich als »undicht« erweisen. Pro Sekunde werden 217 Liter Sümpfungswasser aus dem Tagebau Inden stetig nachgepumpt werden. Im Jahre 2030 wird sich die Stadt indes nach einer anderen Wasserquelle umsehen müssen. Denn dann wird der Tagebau Inden geflutet sein und erst voraussichtlich im Jahr 2061, also bald 70 Jahre nach seiner Anlage, soll der »Blausteinsee« das Wasser halten können.
Als Ergebnis der Stadtratswahl am 16. Oktober erleidet die SPD schwere Verluste an Stimmen. Sie erzielt 41,1 % und verliert sieben Sitze im Rat. Die CDU verbessert sich auf 36,9 % und hält ihre 19 Sitze. Neu in den Rat zieht dieUnabhängige Wählergemeinschaft (UWG) ein. Sie kann 13,4 % der Stimmen auf sich vereinigen und erhält sieben Sitze im Rat. Bündnis90/Die Grünen erzielen 6,8 % und drei Sitze. Am 9. November wählt der Rat Manfred Esser (CDU) zum ehrenamtlichen Bürgermeister.
Am 13. November wird das Kulturzentrum im Talbahnhof eingeweiht und erreicht in wenigen Jahren überregionale Bedeutung.1995
In Weisweiler beginnt der Bau der Müllverbrennungsanlage.
Am 31. Dezember ziehen die belgischen Truppen aus Camp Astrid im Propsteier Wald ab.1997
Im März tritt Claus-Dieter Härchen (SPD) mit 59 Lebensjahren in den Ruhestand. Da durch die revidierte Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen die bisherige »Doppelspitze« aus Stadtdirektor als Verwaltungshauptbeamter und eherenamtlichem Bürgermeister abgeschafft ist, wird der bisherige ehrenamtliche Bürgermeister Manfred Esser (CDU) mehrheitlich vom Rat zum ersten hauptamtlichen Bürgermeister der Stadt Eschweiler seit Gründung des Landes Nordrhein-Westfalen bestimmt und vereinigt nun repräsentative Aufgaben als Vertreter der Gemeinde und den Chef der Stadtverwaltung in einer Person.
Im August nimmt die Müllverbrennungsanlage (MVA) in Weisweiler den Betrieb auf. Knapp sechs Jahre später, am 17. Februar 2003 wird dort erstmals auch Müll aus dem Kreis Düren verbrannt werden. Heute nimmt die MVA pro Jahr rund 360.000 Tonnen Müll an.1999
Am 24. April begeht der Eschweiler Geschichtsverein sein 25-jähriges Jubiläum.
Zur Stadtratswahl am 12. September entfällt die 5-%-Sperrklausel. Dadurch gelingt der FDP mit 2,84 % der Stimmen der Wiedereinzug in den Rat seit der Kommunalwahl 1964. Die CDU kann ihr letztes Wahlergebnis deutlich verbessern, erhält 41,14 % und zwei Sitze hinzu. Die SPD hält ihre 22 Sitze mit 44,60 %. Verlierer sind die UWG mit 5,84 % und nur noch drei gegenüber sieben Sitzen nach der letzten Wahl und Bündnis90/Die Grünen mit 4,13 % und dem Verlust von einem von drei Sitzen.
Mit Abschaffung der kommunalverfassungsrechtlichen »Doppelspitze« aus hauptamtlichem Stadtdirektor und ehrenamtlichem Bürgermeister 1997 dürfen die Eschweiler gleichzeitig mit der Stadtratswahl auch den Bürgermeister, der nun Verwaltungshauptbeamter ist, wählen. Bei dieser historisch ersten Direktwahl zum Bürgermeister der Stadt Eschweiler wird Rudi Bertram (SPD), Fachbereichsleiter in der Stadtverwaltung Eschweiler und Sohn des SPD-Ratsmitglieds Wilhelm Bertram, mit 51,5 % der gültigen Stimmen gewählt.
Eschweiler im 21. Jahrhundert
2004
Ein südliches Stück des ehemaligen belgischen Camp Astrid im Probsteier Waldes wird an die Stadt Stolberg verkauft.
Eschweiler hat per Stichtag 1. September nach amtlicher Feststellung 56.584 Einwohner.
Am 11. September wird die Linie Stolberg-Eschweiler-Weisweiler (2009 bis Langerwehe erweitert und 2010 Anschluss an Düren) der Regiobahn eröffnet.
Aus der Kommunalwahl am 26. September geht die CDU drastisch geschwächt mit 32,9 % hervor und verliert fünf von 21 Sitzen im Stadtrat. SPD (47,8 %) und die kleinen Parteien legen zu: SPD 24 Sitze; UWG 8,3 % und vier Sitze; Bündnis90/Die Grünen 5,7 % und drei Sitze; FDP 5,3 % und drei Sitze. Bei der gleichzeitigen Direktwahl zum Bürgermeister wird Rudi Bertram (SPD) mit 72,5 % der gültigen Stimmen wiedergewählt.2005
Bis 2010 werden die bisherigen 16 katholischen Pfarrgemeinden zu drei Gemeinschaften der Gemeinden Eschweiler-Mitte, Eschweiler-Süd und Eschweiler-Nord zusammengeschlossen.
Am 21. Februar erschießt die Heinsberger Polizei einen Wolf, der in Eschweiler gesichtet worden ist und vermutlich aus Belgien eingewandert war. Zuvor war zuletzt im Winter 1855, nach anderer Darstellung in einem Winter der 1840er Jahre letztmalig ein Wolf in Eschweiler gesehen und erlegt worden.2006Der Zentralrat der Muslime verlegt seinen Sitz von Eschweiler nach Köln. Im Stadtgebiet befinden sich weiterhin fünf Moscheen.2007In der St. Peter und Paul-Kirche findet die Welturaufführung der Missa Solemnis von Franz Liszt (* 22. Okt. 1811 in Raiding/Österreich; † 31. Juli 1886 in Bayreuth) statt.2008
Am 18. Oktober werden die ersten Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig in Eschweiler und Dürwiß verlegt. Stolpersteine sind quaderförmige Betonsteine, ähnlich Pflastersteinen. Auf den Oberseiten sind individuell beschriftete Messingplatten aufgelassen, deren Inschriften die Lebensdaten von Verfolgten im Nazi-Deutschland enthalten. Für gewöhnlich werden die Stolpersteine vor den letzten frei gewählten Wohnhäusern der Nazi-Opfer in den Gehweg auf gleichem Niveau eingelassen. Die Stolpersteine gelten als das weltweit größte dezentrale Denkmal.
Am 9. November gedenkt die Stadt Eschweiler – 70 Jahre nach der Progromnacht auf den 10. November 1938 – des Synagogenbrands in der Moltkestraße und enthüllt dort ein Mahnmal.30. Aug. 2009Gewinnerin der Kommunalwahl ist die SPD, die bei der Stadtratswahl in Eschweiler 49,8 % der abgegebenen gültigen Stimmen und damit 25 von insgesamt 50 Ratssitzen erhält. Zugewonnen hat auch die FDP. Sie erzielt 7,2 % der Wählerstimmen und vier Sitze im Rat. Verlierer sind CDU und UWG: Die CDU erreicht 27,6 % der abgegebenen gültigen Stimmen und damit 14 Sitze im Rat, zwei weniger als nach der Wahl 2004; die UWG erzielt 6,9 % und verliert einen von bisher vier Sitzen. Bündnis90/Die Grünen bleiben mit 5,5 % und drei Sitzen annähernd stabil. Gewinnerinnen sind auch die Frauen: Von den 50 Ratsmitgliedern stellen sie 37. Als weiteres Ergebnis der Kommunalwahl zieht erstmals ein – indes männlicher – Vertreter der Partei Die Linke in den Stadtrat ein. Die Linke ist 2007 aus der Nachfolgeorganisation Partei des demokratischen Sozialismus (PDS) der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), dem Zwangszusammenschluss von SPD und KPD in der DDR, und Abspaltern der SPD in der BRD entstanden. Die Linke erhält 3 % und damit den einen Sitz im Rat. Im Verlauf der Wahlperiode tritt ein Ratsmitglied in die Piratenpartei ein und verlässt die CDU-Fraktion. Infolge der Wahlrechtsänderung 1999 treten gegenüber dem langjährigen faktischen Zwei-Parteien-System im Eschweiler Stadtrat nun Vertreter von fünf Parteien und mit dem Wechsel von der CDU zur Piratenpartei Vertreter von sechs Parteien auf. Bei der Direktwahl zum hauptamtlichen Bürgermeister wird Rudi Bertram (SPD) mit 71,9 % der gültigen Stimmen wiedergewählt.2010
Im Januar wird Eschweiler von der Geschichte der deutschen Kriegsverbrechen eingeholt. Das Amtsgericht erhält von einem anonymen Einreicher 50 Fotos, die deutsche Kriegsverbrechen, die wahrscheinlich im Sommer 1941 nach dem Überfall auf die Sowjetunion begangen worden sind, zeigen. Die Fotos seien bei einer Wohnungsrenovierung 1960 am Eschweiler Marktplatz gefunden worden. Es wird jedoch für wahrscheinlicher gehalten, dass ein Erbe sich einer Last entledigt hat. Der Vorgang wird erst ein Jahr später, Ende Januar 2011, aus der Presse und dem Rundfunk bekannt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt seitdem. Zwecks »sachdienlicher Hinweise aus der Bevölkerung« veröffentlicht sie zwei Fotos, auf denen jedoch weder vermutliche Täter noch die Opfer erkennbar sind. Es gelte schließlich der Persönlichkeitsschutz für die Täter als auch für die Ermordeten, gibt die Staatsanwaltschaft im WDR-Fernsehen an.
Am 23. März wird der in Eschweiler 1921 geborene Kriegsverbrecher Heinrich Boere wegen der »Silbertanne-Morde«, Feme-Morde der SS an Zivilisten in den Niederlanden, vom Landgericht Aachen zu lebenslanger Haft verurteilt. Boere war bereits in den Niederlanden 1949 zum Tode, dann umgewandelt in lebenslange Haftstrafe, verurteilt worden, entzog sich der Vollstreckung jedoch durch Flucht zurück nach Eschweiler und kam dort von den deutschen Behörden jahrzehntelang unbehelligt als Bergarbeiter unter. Zwei Jahre nach Haftantritt verstirbt Boere 92jährig.2014
Bundespolizei soll nach Eschweiler verlegt werden und die Stadt damit weitere Aufgaben in der Flüchtlingsverwaltung erhalten. Während die Stadt sich darauf vorbereitet, verschiebt die Bundespolizei ihren Umzug in die Zukunft.
Die Regiobahn Linie Alsdorf – Aachen über St. Jöris wird – zunächst eingleisig – eröffnet.
Bei der Stadtratswahl am 25. Mai dürfen die Eschweiler diesmal für sechs Jahre über die Zusammensetzung des Rates abstimmen. Die Wahlbeteiligung beträgt 50 %. Davon entfallen 51,3 % der gültigen Stimmen auf die SPD, die 26 der 50 Sitze im Stadtrat und damit die absolute Mehrheit erhält. Es folgen: CDU (31,1 % und 15 Sitze), Bündnis90/Die Grünen (4,8 % und zwei Sitze), Die Linke (4 % und zwei Sitze), FDP (3,6 % und zwei Sitze), UWG (zwei Sitze), Piratenpartei (ein Sitz). Unter den 50 Vertretern befinden sich 10 Frauen. Nach den Kommunalwahlen 2009 kamen noch 37 Frauen in den Rat. Bei der gleichzeitigen Direktwahl zum hauptamtlichen Bürgermeister wird Rudi Bertram (SPD) mit 68,7 % der gültigen Stimmen in Folge wiedergewählt.
Am 14. August werden vom St. Elisabeth-Krankenhaus in Jülich, Kreis Düren, über 40 Patienten mit schweren Lungenentzündungen zur stationären Behandlung aufgenommen. Bis zum 17. Oktober werden rund 70 Erkrankungs- und Verdachtsfälle von Legionellose bekannt, zwei Patienten sterben. Windsimulationen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass die Infektionsquelle im Braunkohlekraftwerk Weisweiler liegt. Am 1. Oktober meldet das Umweltministerium NW, dass in Block F des Kraftwerks 61.500 koloniebildende Einheiten (KBE) je 100 mL nachgewiesen sind. Der 2014 aktuelle Grenzwert für Legionellen in Kühlwerken beträgt 1.000 KBE/100 mL. Block F wird noch im September abgeschaltet, die mit mindestens 7.500 KBE/100 mL kontamierten Blöcke E, G und H bleiben am Netz. Ende November wird im Kühlsystem eine Belastung von 275.000 KBE/100mL nachgewiesen. Nach Vorlage eines Maßnahmenkonzepts für eine Belastung kurzfristig unter 50.000 KBE und langfristig unter 10.000 KBE erlaubt die Landesregierung NW das erneute Hochfahren des Blocks F. Frühere Fälle von untypischen und schweren Lungenentzündungen hat man bisher nie im Zusammenhang mit dem Kraftwerk Weisweiler untersucht.
2015Das Jahr steht ganz unter dem Eindruck der Ströme von Menschen, die vom Balkan aus, von Afrika und vor allem aus dem Orient nach der BRD ziehen. Im August, wie von der Stadt lange ersehnt, verlegt Bundespolizei nach Eschweiler. Die Gemeinde ist dadurch für die Verwaltung und Versorgung »unbegleiteter« minderjähriger Flüchtlinge zuständig geworden. Die Volkshochschule konzentriert ihr Bildungsangebot nun auf die »demografischen Änderungen« und leistet Eingliederungshilfe für zugereiste Ethnien. Die Lokalpresse berichtet in »Willkommenskultur«.